AKW-Arbeiter mussten raus - Wasser in Tokio belastet
Tokio (dpa) - Neue Rückschläge im Kampf gegen das Atom-Chaos: Trinkwasser ist jetzt auch in Tokio stärker radioaktiv belastet. Babys sollen deshalb kein Leitungswasser mehr trinken. Immer mehr Gemüse darf nicht verzehrt werden.
Derweil bekommt der AKW-Betreiber Tepco das Atom-Wrack einfach nicht unter Kontrolle. Als wieder schwarzer Rauch aufstieg, mussten die für Mittwoch geplanten Kühlaktionen abgeblasen werden. Arbeiter und Feuerwehrleute wurden aus Sicherheitsgründen abgezogen.
TRINKWASSER IN TOKIO: In vielen Bezirken Tokios sowie in mehreren westlich gelegenen Städten dürfen Kinder unter einem Jahr kein Leitungswasser mehr trinken. Auch zum Anrühren von Milchpulver ist das Wasser tabu. Die Verwaltung rief die Bevölkerung zur Ruhe auf. Die Warnung sei eine Vorsichtsmaßnahme, da sich das radioaktive Jod über die Zeit in der Schilddrüse konzentrieren könne. Regierungssprecher Yukio Edano warnte vor Panikkäufen von abgefülltem Wasser.
In einer Wasseraufbereitungsanlage Tokios waren zuvor erhöhte Werte an radioaktivem Jod 131 festgestellt worden. Der Wert habe 210 Becquerel pro Liter betragen. Der Grenzwert des Gesundheitsministeriums liegt für Babys bei 100 Becquerel pro Liter, für Erwachsene und ältere Kinder bei 300 Becquerel.
KAMPF AM ATOMKRAFTWERK: Eigentlich wollten die Einsatzkräfte die überhitzten Reaktor-Ruinen zwei Stunden lang kühlen. An dem besonders gefährlichen Reaktor 3 sollte eine erste Pumpe getestet werden. Als jedoch erneut schwarzer Rauch aufstieg, wurden alle Arbeiter von den Blöcken 1 bis 4 abgezogen, wie die Agentur Kyodo berichtete. Auch alle Feuerwehrleute mussten demnach das Gelände verlassen. Sorgen bereiten auch steigende Temperaturen in den Reaktoren 1 und 3.
STRAHLUNG AUSSERHALB DER SICHERHEITSZONE: Auch außerhalb der 30-Kilometer-Sicherheitszone um das AKW könnte stark erhöhte radioaktive Strahlung auftreten, schätzt nun sogar die japanische Regierung. An manchen Orten außerhalb der Sicherheitszone könne die Strahlung laut Computersimulation zeitweise bei mehr als 100 Millisievert pro Stunde liegen. Die natürliche Hintergrundstrahlung liegt bei etwa 2 Millisievert pro Jahr. Die 20-Kilometer-Evakuierungszone soll dennoch nicht erweitert werden.
BELASTUNG IM ESSEN: Für immer mehr Gemüse aus der Gegend um das Krisen-AKW gilt ein Lieferstopp. Das Gesundheitsministerium veröffentlichte dazu eine Liste mit elf Gemüsearten, bei denen eine teils drastisch erhöhte Radioaktivität festgestellt wurde. Darunter sind Spinat, Broccoli, Kohl und das Blattgemüse Komatsuna. Auch Deutschland erhöhte die Vorsichtsmaßnahmen. Vor allem bei Fisch und Fischerzeugnissen solle die Belastung überprüft werden, teilte Verbraucherministerin Ilse Aigner mit. In der EU sind laut Kommission bislang keine erhöhten Werte bei Lebensmitteln aus Japan aufgefallen.
OPFERZAHLEN UND NACHBEBEN: Die offizielle Zahl der Toten nach der Naturkatastrophe stieg auf etwa 9500. Mehr als 15 000 Menschen werden noch vermisst. Etwa 260 000 Menschen müssen nach Angaben von Kyodo noch in Notunterkünften hausen. Am Mittwoch (Ortszeit) erschütterten mehr als 25 Nachbeben mit Stärken zwischen 4,4 und 6,1 die Region.
KOSTEN: Das Erdbeben und der Tsunami dürften als teuerste Naturkatastrophe aller Zeiten in die Geschichte eingehen: Auf bis zu 25 Billionen Yen (rund 220 Milliarden Euro) beziffert die Regierung die Schäden in einer aktuellen Schätzung, wie Kyodo berichtet. Japans Banken prüfen offenbar Notkredite für den Betreiber des Unglücks-AKW.
STRAHLUNG IN DEUTSCHLAND: Hierzulande hat das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) noch keine Radioaktivität aus Japan gemessen. Wind und Regen werden die Partikel nach Einschätzung des Deutschen Wetterdienstes (DWD) in der Luft so weit verdünnen, dass in Europa kaum etwas messbar sein wird.