Alois Alzheimer: Er hat das Vergessen erforscht

Alois Alzheimer, „der Irrenarzt mit dem Mikroskop“, würde am Samstag 150 Jahre alt. Wer war der Mann, der die nach ihm benannte Krankheit entdeckte?

Foto: NN

Düsseldorf. Am 25. November 1901 liefert ein Ehemann seine Gattin in die Anstalt für Irre und Epileptiker in Frankfurt am Main ein. Die Frau wird als „Auguste D.“ in die Medizingeschichte eingehen. Sie hat Verfolgungswahn, ist eifersüchtig, versteckt alle möglichen Dinge, kommt mit dem Haushalt nicht mehr zurecht und „leidet seit längerer Zeit an Gedächtnisschwäche“, wie in den Krankenakten vermerkt wird.

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Einen Tag später untersucht der Oberarzt Alois Alzheimer die 51-Jährige. „Wie heißen Sie?“, fragt er, und sie antwortet: „Auguste.“ Er fragt nach dem Familiennamen. Sie antwortet wieder: „Auguste.“ Wie ihr Mann heißt? „Ich glaube Auguste.“ Ihr Mann? „Ach so, mein Mann . . .“ Ob sie verheiratet ist? — „Zu Auguste.“ Wenn sie ihren Namen schreiben soll, vergisst sie ihn nach den ersten Buchstaben wieder.

Bei älteren Patienten hat Alzheimer solche Fälle von „altersbedingtem Schwachsinn“, wie man damals sagt, schon beobachtet. Da vermutet er, der „Altersblödsinn“ sei durch eine Verdickung der Gefäße verursacht. Also notiert er auch bei Auguste D. „arteriosklerotische Hirnatrophie“, setzt aber ein Fragezeichen dahinter.

Der Fall lässt ihn nicht los. Als die Frau nach viereinhalb Jahren in der Anstalt stirbt, lässt sich Alzheimer, der nicht mehr in Frankfurt arbeitet, das Hirn schicken, um es zu sezieren. Vermutet er hinter den Symptomen doch eine „eigenartige Erkrankung“. Und wirklich: Bei der Untersuchung entdeckt er ein neues Krankheitsbild.

Er stellt Veränderungen der Hirnrinde fest mit massenhaft Zellausfällen und einer seltsamen Fibrillenerkrankung der Nervenzellen, eine Wucherung der Gliazellen und Ablagerungen von Stoffwechselprodukten an der ganzen Hirnrinde. Auguste D. wird zum ersten dokumentierten Fall einer „präsenilen Demenz“. Die heutige Bezeichnung „Alzheimersche Krankheit“ verwendet Emil Kraepelin erstmals 1910 in der Neuausgabe seines „Lehrbuchs für Studierende und Ärzte“.

„Der Irrenarzt mit dem Mikroskop“ wird Alzheimer von seinen Zeitgenossen genannt. Ist es ihm doch gelungen, die klinischen Befunde von Dementen nach ihrem Tod histopathologisch mit Veränderungen am Hirn zu belegen.

Seit Prominente wie Ronald Reagan, Rudi Assauer und Gunter Sachs sich geoutet haben, kennt wohl jeder die Krankheit, die nach ihm benannt wurde. 35 Millionen Menschen sind weltweit an Alzheimer erkrankt. Im Jahr 2050 könnten es nach Schätzung der Weltgesundheitsorganisation 115 Millionen sein. Kaum einer aber weiß etwas über die Person Alois Alzheimer. Wer war dieser Mann, der am 14. Juni vor 150 Jahren im unterfränkischen Marktbreit als Sohn eines Notars auf die Welt kam? Sein Geburtshaus dort ist seit 1995 Tagungsstätte und Museum.

Nach der Grundschule besucht Alois Alzheimer das Gymnasium im nahen Aschaffenburg. Kurz vor dem Abitur stirbt seine Mutter Therese mit gerade mal 42 Jahren. Vielleicht lässt das den Jungen eine medizinische Laufbahn antreten. 1883 geht er nach Berlin, damals das Mekka der Medizin.

In der Großstadt aber findet sich der Bub aus dem fränkischen Spessart nicht zurecht, so dass er sich im folgenden Semester in Würzburg immatrikuliert, wo sein älterer Bruder Karl Mitglied im Corps Franconia ist. Auch Alois tritt der Studentenverbindung bei. Beim Pauken wird er an der linken Wange erwischt und trägt einen Schmiss davon. Zeitlebens lässt er sich deswegen nur von rechts fotografieren.

Ein wahres „Prügel-Mannsbild“, wie man im Fränkischen sagt, ist er mit seinen 1,80 Metern. Nach einer verlorenen Wette durchschwimmt er im Winter den Main. In Tübingen, wo er ein Semester studiert, lärmt er nachts vor einer Polizeistation so laut, dass er drei Mark Strafe zahlen muss. Seine Doktorarbeit schreibt er 1887 „Über die Ohrenschmalzdrüsen“. Das Staatsexamen besteht er „sehr gut“. Danach nimmt er eine Stelle bei einer „geisteskranken Dame“ an, reist mit ihr fünf Monate durch die Welt, bevor er 1888 als Assistenzarzt an besagter städtischer Heilanstalt in Frankfurt anfängt, die von den Einheimischen nur „das Irrenschloss auf dem Affenstein“ genannt wird.

Die Zustände in der Psychiatrie sind erschütternd. Schwere Fälle werden eingesperrt oder mit Medikamenten sediert. Mit seinen Kollegen Emil Sioli und Franz Nissl schafft Alzheimer diese Zwangsmittel ab. Die Türen bleiben offen. Ruhiggestellt werden Patienten mit stundenlangen Bädern.

Alois Alzheimer untersucht unter dem Mikroskop die pathologische Anatomie der Hirnrinde und widmet sich den anatomischen Grundlagen bei Psychosen.

Als er einen Kranken aus Algerien überführen soll, lernt er Cecilie Geisenheimer kennen, die er 1894 heiratet. Drei Kinder bekommt das Paar. Als seine Gattin 1901 stirbt, gibt es für Alzheimer nur noch die Arbeit. Er reist zu Kongressen, forscht und publiziert. Emil Kraepelin holt ihn als Assistent nach Heidelberg, später geht er mit ihm nach München an die Königlich Psychiatrische Klinik. Dort schreibt er seine Habilitation über „Histologische Studien zur progressiven Paralyse“, die ein Meilenstein in der Geschichte der klinischen Psychiatrie ist.

Nur ungern nimmt Alzheimer 1906 eine Stelle als Oberarzt an, kann er sich so doch nicht mehr frei der Wissenschaft widmen. Selbst als er 1912 einen Ruf nach Breslau erhält, wo er Professor und Direktor der Nervenklinik werden soll, zögert er zunächst. Schon beim Umzug kränkelt er. Das Herz. Nie mehr wird er sich ganz erholen. Am 19. Dezember 1915 stirbt er an Nierenversagen. Der Name Alzheimer aber lebt weiter.