Munitionshändler machen sattes Umsatzplus Amerikaner bewaffnen sich in der Corona-Krise
Rockville · In den USA werden derzeit verstärkt Waffen gekauft. Man wolle sich schützen, wenn die Lage noch schlimmer wird, heißt es.
Tim Hinton ist ein muskelbepackter Berg von einem Mann, gekleidet ist er in eine Uniform, an seinem rechten Oberarm prangt eine US-Flagge. Der Ex-Marineinfanterist hat eine Zigarre im Mund, als er aus seinem Jeep steigt, die Tasche mit seinen Waffen heraus wuchtet und die Schießanlage in Rockville im US-Bundesstaat Maryland aufsperrt. Hinton ist Ausbilder in der Gilbert Indoor Range. Heute gibt er einen Kurs, der Voraussetzung dafür ist, einen amtlichen Waffenschein für eine Handfeuerwaffe zu beantragen. Die Kurse sind seit Beginn der Corona-Krise besonders nachgefragt – was derzeit generell für Waffen und Munition in den USA gilt.
Die Krise ist auch an der Schießanlage nicht spurlos vorbeigegangen: Die Öffnungszeiten für den Schießbetrieb sind kürzer, dafür gibt es mehr Kurse wegen der gestiegenen Nachfrage. Die Zahl der Teilnehmer ist auf acht begrenzt, sie sitzen weit voneinander entfernt in dem Schulungsraum, der insgesamt Platz für drei Dutzend Menschen böte. Auch beim Schießen, das zum Kurs gehört, wird Abstand gehalten. Am Eingang der Gilbert Indoor Range hängt ein Schild, auf dem steht: „Mangel an Toilettenpapier. Bringen Sie Ihr eigenes, wenn Sie können.“
Nicht nur auf Toilettenpapier gibt es in den USA einen regelrechten Run. Nach einer Statistik der US-Bundespolizei FBI stieg die Zahl der eingeleiteten Sicherheitsüberprüfungen für potenzielle Waffenkäufer bis Ende März auf 3,7 Millionen an – der Höchstwert seit Beginn der Erhebung im Jahr 1998. Der Online-Munitionshändler Ammo.com meldete zwischen dem 23. Februar und Ende März ein Umsatzplus von sagenhaften 792 Prozent verglichen mit dem knapp 40-tägigen Zeitraum davor. Der amerikanische Präsident Donald Trump sagt: „Zu Beginn dieser Pandemie wurden, glaube ich, mehr Waffen verkauft als jemals zuvor in der Geschichte.“
Ausrufung des Notstandes als Grund für größere Nachfrage
Schießanlagen wie die Gilbert Indoor Range gelten in Maryland in der Krise als „essenzielle Infrastruktur“ und können deswegen offen bleiben. Andrew Samson ist Chefausbilder der Anlage. Er erklärt die gestiegene Waffennachfrage mit der Ausrufung des Notstands, aber auch mit der Mobilisierung der Nationalgarde, die zur Reserve der Armee zählt. „Sobald die Armee aktiviert wird, sieht die Öffentlichkeit, dass etwas Ernstes geschieht.“ Panikkäufe in Supermärkten verstärkten diesen Eindruck der Menschen noch. „Sie haben mehr denn je das Gefühl, dass sie sich selber schützen müssen.“
Maryland hat verglichen mit anderen US-Bundesstaaten strenge Waffengesetze. Aus deutscher Sicht sind sie erstaunlich lax. Den Kurs, den Hinton gibt, muss in Maryland nur belegen, wer eine Pistole oder einen Revolver besitzen möchte. Mit dem Kurszertifikat kann man nach Abgabe von Fingerabdrücken bei der Polizei eine Lizenz für den Kauf eben solcher Waffen beantragen. Wer halbautomatische Gewehre erwerben will, die in den USA bei vielen Massakern traurige Berühmtheit erlangt haben, muss weder einen Kurs besuchen noch eine Lizenz beantragen. Dafür genügt ein kurzer FBI-Sicherheitscheck. Die krude Logik dahinter: Eine Handfeuerwaffe ist leichter zu verbergen – und daher eine größere Bedrohung.
In ihrer jüngsten Statistik aus dem Jahr 2018 verzeichnete die Gesundheitsbehörde CDC 39 740 Schusswaffentote in den USA, darunter mehr als 24 000 Selbsttötungen und fast 14 000 Morde. Zum Vergleich: Verkehrsunfälle forderten knapp 38 000 Menschenleben. Nach einer Studie der Organisation Small Arms Survey aus demselben Jahr gibt es in den USA mehr Waffen im Besitz von Zivilisten als Einwohner: Demnach kommen 120,5 Schusswaffen auf 100 Amerikaner, das ist weltweit ein absoluter Spitzenwert.
Das Recht auf Waffenbesitz ist in der Verfassung der USA verankert, und so verwundert es nicht, dass Amerikaner ein besonderes Verhältnis zu Schusswaffen haben. Das wird auch in dem Kurs in Rockville deutlich, in dem Tim Hinton sich vor den Teilnehmern aufgebaut hat. In seinem Gürtel stecken zwei Pistolen und mehrere Magazine, doch sein martialisches Auftreten kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Ausbilder eigentlich ein umgänglicher Typ ist.
Hinton zeigt ein Video, in dem es um den sicheren Umgang mit Handfeuerwaffen geht: Wie man die Waffe lädt, wie man zielt, wie man abfeuert (beide Daumen immer auf derselben Seite des Griffs!). Gleichzeitig essen und schießen sind keine gute Idee („nicht die Pistole in der einen Hand und ein Hotdog in der anderen“). Wenig überraschend: Auch Alkohol und Schusswaffen vertragen sich nicht.
Dann geht es darum, zu was der amtliche Handfeuerwaffenschein in Maryland ermächtigt. Wer ihn hat, darf eine Handfeuerwaffe besitzen und sie ungeladen transportieren, aber nur zu bestimmten Zielen oder Zwecken: beispielsweise zum Schießstand oder zur Jagd. Nicht erlaubt ist es trotz des Scheins, Handfeuerwaffen verdeckt oder offen am Körper zu tragen – dafür gibt es in Maryland gesonderte Lizenzen, die viel schwieriger zu bekommen sind.
Auf dem Schießstand werden Gehörschutz und Schutzbrillen verteilt. Teilnehmer mit Erfahrung bekommen 9-Millimeter-Pistolen, Anfänger werden mit kleineren Kalibern ausgerüstet. Auf Knopfdruck fahren die Schießscheiben eine Distanz von rund fünf Metern die Bahn hinunter. Die Waffen werden geladen und entsichert, Hinton gibt die richtige Haltung vor: Schultern nach vorne, Knie leicht gebeugt, das Ziel im Visier – und Feuer. Für unerfahrene Schützen ist selbst der Rückstoß einer Kleinkaliberpistole überraschend heftig.
Einsatz gegen Menschen wird thematisiert
Im weiteren Kursverlauf wird besprochen, wann man seine Schusswaffe in Maryland gegen Menschen einsetzen darf: nämlich dann, wenn man von einer unmittelbaren Lebensgefahr ausgehen muss – etwa bei einem bewaffneten Eindringling im eigenen Haus, der die Familie bedroht. „Wenn jemand die Räder meines Jeeps stiehlt, dann darf ich nicht auf ihn schießen“, mahnt Hinton. Auf Nachfrage erläutert er, dass auch nicht auf jemanden geschossen werden dürfe, der Haustiere des Waffenbesitzers töten möchte. Eine Teilnehmerin entgegnet, derjenige müsse bei einem Angriff auf ihre Hunde dennoch damit rechnen.
Hovik Kantuni hört aufmerksam zu, er will den Schein haben. Der Mechaniker sagt, seine Teilnahme am Kurs sei indirekt eine Folge der Corona-Krise. „Ich war davor zu beschäftigt, ihn zu machen.“ Kantuni sagt aber auch: „Die Schlangen an Waffenläden haben wahrscheinlich mit einer Art Angst zu tun.“ Kursbesucherin Stephanie Sahadeo sagt, für sie habe die Teilnahme zumindest auf eine gewisse Art und Weise mit der Krise zu tun: Sollte es dazu kommen, dass Menschen die Lebensmittel ausgingen, „dann will ich in der Lage sein, mich zu beschützen“. Das könnte dann „eine Frage des Überlebens“ werden.
Der Munitionshändler Ammo.com mag von der Krise profitieren, solche Alptraumszenarien hält er dennoch für wirklichkeitsfremd. Es gebe sowohl zu normalen wie auch zu Krisenzeiten gute Gründe, eine Waffe zu besitzen, heißt es in einer Mitteilung des Unternehmens. Und weiter: „Es gibt jedoch keinen Grund zu der Annahme, dass es wegen des Covid-19-Virus zu einem massiven Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung kommen wird.“ Dennoch kann sich das Unternehmen folgenden Rat nicht verkneifen: „Stellen Sie immer sicher, dass sie genug Munition haben.“
Auch in dem Kurs in Rockville geht es um verschiedene Munitions- und Waffentypen. Die Ausbilder haben Tipps wie zum Beispiel diesen parat: Keine Gravuren wie „Tötet sie alle“ auf jener Waffe, mit der man im Ernstfall sein Zuhause verteidigen möchte – das komme bei Polizei und Staatsanwaltschaft auch nach einem berechtigten Einsatz der Waffe nicht gut an. Und zum Abschluss gibt Chefausbilder Samson den Kursteilnehmern noch mit auf den Weg: „Wir wollen sicherstellen, dass Ihr als unsere Schüler die Überlebenden seid – nicht der Verbrecher.“