An der Seite der Opfer von Münster
Erst kurz ist die NRW-Opferschutzbeauftragte Elisabeth Auchter-Mainz im Amt — und nach der Amokfahrt schon besonders gefordert.
Düsseldorf. Man wäre versucht, das Wort Bewährungsprobe in den Mund zu nehmen, verfügte die frühere Kölner Generalstaatsanwältin Elisabeth Auchter-Mainz nicht schon über den satten Erfahrungsschatz eines kompletten Berufslebens, dem es an Bewährungsproben nicht gemangelt hat. Gerade gut vier Monate ist es her, dass die Juristin ihren Ruhestand beendete, um die neu geschaffene Stelle als NRW-Opferschutzbeauftragte anzutreten. Die Amokfahrt von Münster verschafft ihrem jungen Amt nun auf dramatische Weise eine unerwartet rasche öffentliche Aufmerksamkeit.
Als sie am Samstagnachmittag die ersten Meldungen erhielt, sei ihr sofort klar gewesen, „dass ich nach Münster reisen werde und dort präsent sein muss, unabhängig vom Motiv des Täters“. Bis spät in die Nacht folgten erste Telefonate mit Notfallseelsorgern, den Opferbeauftragten der Münsteraner Polizei und dem Vertreter des Generalbundesanwalts. „Er ging auch erst von einem terroristischen Anschlag aus.“
Mittlerweile ergeben die Ermittlungen ein anderes Bild, auch wenn noch viele Fragen offen sind. „Doch es gibt Tatsachen, die wir nicht aufklären müssen“, sagt NRW-Justizminister Peter Biesenbach: „Es gibt Opfer, Angehörige und Freunde.“ Ihnen die Hilfe zu verschaffen, die ihnen zusteht und zur Verfügung steht, ist die Aufgabe von Elisabeth Auchter-Mainz. „Und wir werden an der Seite der Opfer bleiben, bis wir hören, dass sie unsere Hilfe nicht mehr brauchen“, versichert sie.
Am Sonntag war die Opferschutzbeauftragte erstmals in Münster, am Tag danach erneut, seit Dienstag gibt es Kontakte zu Geschädigten. „Hinter jedem Telefonat und jedem Kontakt steht ein Schicksal“, sagt sie, spricht von erschütternden Schilderungen — und behält den Rest für sich. Für öffentlichkeitswirksame emotionale Rührstücke ist die so empathische wie zurückgenommen-sachliche Frau nicht zu haben.
Aus den Informationen der Polizei und den Meldungen, die bei ihr direkt eingingen, hat sie inzwischen eine Liste zusammengestellt. An die 50 Namen stehen darauf, Angehörige der Toten, Verletzte, psychisch mitgenommene Augenzeugen. Aber abgeschlossen ist die Liste noch nicht. Auchter-Mainz weiß aus ihrer früheren Tätigkeit, wie lange ein Erlebnis in Menschen nachwirken kann, bis sie sich endlich melden, „oft erst Jahre später“.
Allen bekannten Opfern von Münster soll ein persönliches Gespräch möglich gemacht werden. Und das Team von Auchter-Mainz hat das ehrgeizige Ziel, es möglichst bei einer 1:1-Beziehung zu belassen, „damit die Menschen ihre Erlebnisse nicht immer noch einmal erzählen müssen“. Die Vermittlung zu bestehenden Hilfsangeboten wie Traumaambulanzen oder Beratungen des Weißen Rings ist dabei das eine, der Hinweis auf das Opferentschädigungsgesetz das andere. Schon der Terroranschlag am Berliner Breitscheidplatz hat dabei eine Gesetzeslücke offenbart, an deren Beseitigung schon gearbeitet wird: Ein Fahrzeug als Tatwaffe ist eigentlich nicht vorgesehen, um nicht jeden Verkehrsunfall zum Gegenstand von Entschädigungsforderungen zu machen. „Aber das wird auch in NRW über die Härtefallklausel gelöst“, stellt die 66-Jährige in Aussicht. „Die Opfer von Münster werden entschädigt, wenn sie Anträge stellen.“ Sie müssen sich dafür an den für ihren Wohnort zuständigen Landschaftsverband wenden.
Koordinieren, zusammenführen, Netzwerke bilden: So versteht Elisabeth Auchter-Mainz ihr Amt. „Wir müssen im Sinne der Opfer zusammenarbeiten.“ Für Konkurrenzgebaren soll da kein Platz sein. „Ich glaube, meine Stelle ist inzwischen in den Köpfen angekommen.“ Zu ihrem Team gehören noch eine frühere Staatsanwältin und eine Sozialarbeiterin. Alle drei verfügen über intensive Erfahrungen mit dem Leid der Opfer von Gewalttaten.
Opfer — kann man dazu auch die Eltern des Täters zählen? Auchter-Mainz hält einen Moment inne: „Wir haben noch nicht entschieden, sie anzusprechen. Aber wir haben darüber nachgedacht.“