Anti-Terror-Razzia in Zeiten des Karnevals

Im Sauerland, in Berlin und Niedersachsen schlagen die Ermittler zu. Allzu konkrete Erkenntnisse hatten die Fahnder wohl nicht.

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Berlin/Attendorn. Es ist 10.22 Uhr, als die beiden maskierten Polizisten den 49-Jährigen aus dem dreistöckigen Wohnhaus im Berliner Bezirk Kreuzberg abführen. Eine Kinderdecke verhüllt Kopf und Oberkörper — der Algerier soll nicht erkannt werden. Er wird verdächtigt, zusammen mit drei Komplizen einen Anschlag in der Hauptstadt geplant zu haben. Wie konkret die Pläne waren und ob schon Waffen oder Sprengstoff beschafft wurden, blieb zunächst unklar. Am frühen Abend sickerte durch: Es dürfte sich um Planungen im Frühstadium gehandelt haben.

Vier Tage vor Rosenmontag hatte die Nachricht vom Anti-Terror-Einsatz Hunderter Polizisten gegen die aus vier Algeriern bestehende mutmaßliche Terrorzelle aufgeschreckt. Doch rasch wird klar: Konkrete Hinweise auf ein geplantes Attentat gegen einen Karnevalszug haben die Sicherheitsbehörden nicht — ausgeschlossen wurde ein solcher Zusammenhang aber auch nicht.

In Berlin, NRW und Niedersachsen durchsuchen Beamte Flüchtlingsunterkünfte, Wohnungen und Betriebe. Den 35-jährigen Hauptverdächtigen und dessen 27-jährige Frau nimmt die Polizei in einem Erstaufnahmelager in Attendorn fest — die beiden haben zwei kleine Kinder. Der Mann kam wohl mit seiner Familie über die Balkanroute nach Deutschland, in Bayern wurden sie registriert. Damit haben sich erneut die Sorgen der Sicherheitsbehörden bestätigt, dass unter den Flüchtlingen, die seit Beginn vergangenen Jahres nach Deutschland gekommen sind, auch mutmaßliche Terroristen sein dürften.

Seit Monaten gehen bei den Sicherheitsbehörden Hinweisen auf Terrorverdächtige unter den Flüchtlingen ein — konkret wird der Verdacht nur selten. Auch nach Terrorwarnungen wie bei der Absage des Fußball-Länderspiels in Hannover im November oder den Hinweisen auf drohende Anschläge in München zu Silvester liegen die Hintergründe bislang noch im Dunkeln.

Über die Gründe, warum die Behörden bei der mutmaßlichen algerischen Terrorzelle nach monatelangen Ermittlungen des Verfassungsschutzes und der Polizei ausgerechnet vor dem Höhepunkt der „tollen Tage“ zugegriffen haben, wurde auch in Sicherheitskreisen spekuliert. Möglicherweise habe die Polizei in NRW zugreifen wollen, um im Karneval nichts zu riskieren, hieß es. Schließlich sei angesichts der Großveranstaltungen die Nervosität in den Sicherheitsbehörden besonders groß.

Wie kompliziert Ermittlungen im Bereich des islamistischen Terrorismus sind, zeigt sich am Donnerstag auch in Berlin, NRW und Niedersachsen. Die drei Festnahmen gehen nicht auf Erkenntnisse wegen des angeblich geplanten Anschlags in Berlin zurück: Das Pärchen im Sauerland wurde wegen eines von Algerien ausgestellten internationalen Haftbefehls festgenommen, ihm wird IS-Mitgliedschaft vorgeworfen. In Berlin mussten die Ermittler wohl zu einem Hilfskonstrukt greifen, um den 49-Jährigen abführen zu können: Gegen ihn lag ein Haftbefehl wegen Urkundenfälschung vor.

Dass auch Deutschland im Visier des IS-Terrorismus liegt, ist bekannt. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) sagt dies immer wieder. Und der Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen warnte angesichts der wachsenden Zahl von Islamisten erst vor wenigen Tagen: „Die Sicherheitslage ist ernst, darauf müssen wir uns einstellen.“

Die nüchternen Zahlen hinter dieser Analyse: Im Januar gab es fast 450 Islamisten in Deutschland, denen Polizei und Geheimdienste jederzeit einen Terrorakt zutrauen. Etwa 1000 Menschen ordnen die Behörden dem islamistisch-terroristischen Spektrum zu.