Anwalt fordert Freispruch für Pistorius

Pretoria (dpa) - Der Verteidiger von Oscar Pistorius hat einen Freispruch verlangt und die tödlichen Schüsse seines Mandanten mit der Angststörung des Sportlers erklärt.

Foto: dpa

In dem seit gut fünf Monaten dauernden Mordprozess hatte Anwalt Barry Roux am Freitag mit seinem rund fünfstündigen Plädoyer eine letzte Chance, die Richterin zu überzeugen. Nach seiner Darstellung tötete Pistorius seine Freundin Reeva Steenkamp in der Nacht zum Valentinstag 2013 irrtümlich, weil er einen Einbrecher hinter der Badezimmertür vermutete.

Chefankläger Gerrie Nel hatte den südafrikanischen Sprinter hingegen zuvor der Lüge bezichtigt. Pistorius habe Steenkamp vorsätzlich erschossen. Das Urteil soll am 11. September fallen. Spricht die Richterin Pistorius des Mordes schuldig, drohen ihm mindestens 25 Jahre Haft.

Eine „übertriebene Kampf-Reaktion“ habe bei Pistorius zu einem „gewaltigen, unglücklichen Fehler“ geführt, sagte Roux im südafrikanischen Pretoria. Der Verteidiger griff damit auf die Beschreibung einer Stressreaktion aus der Psychologie zurück, bei der Lebewesen entweder mit Kampf oder Flucht auf eine akute Bedrohung reagierten.

Pistorius' überzogene Angst ist laut Verteidigung mit der hohen Kriminalitätsrate in Südafrika und der Behinderung des unterschenkelamputierten Angeklagten zu erklären. „Er wird ständig daran erinnert, dass er keine Beine hat. Er kann nicht wegrennen“, sagte Roux über Pistorius, der mit Hilfe seiner beiden Prothesen als erster beinamputierter Sportler der Olympia-Geschichte im Jahr 2012 bei den Spielen in London gestartet war. „Er hat sich bewaffnet und ist zum Bad gegangen. Er wusste, dass es eventuell nötig werden könnte, zu schießen. Er hatte Angst“, erklärte der Anwalt. Die vier Schüsse seien zur Selbstverteidigung gefallen.

Staatsanwalt Nel hatte Pistorius in seiner Schlussrede am Donnerstag vorgeworfen, die Wahrheit bei seinen Aussagen stets zu seinen Gunsten verdreht zu haben. Pistorius müsse in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen werden. Richterin Thokozile Masipa muss sich nach 36 Zeugenverhören vor allem auf Indizien verlassen. Selbst wenn sie Pistorius nicht wegen Mordes, sondern wegen Totschlags verurteilt, könnte das eine Gefängnisstrafe von 15 Jahren bedeuten. Das Urteil soll nun erst Mitte September fallen, zuvor war es noch im August erwartet worden.

Roux sagte, Pistorius sei nicht die Idee gekommen, dass hinter der Toilettentür seine Freundin sitzen könnte. Der Sportler habe ernsthaft gedacht, sie sei im Schlafzimmer. „Er befand sich vor der Tür, ohne Beine, und hörte Geräusche. Er hat geschossen“, sagte Roux. „Wenn das plausibel klingt und er also aus einem Reflex heraus gehandelt hat, dann müssen Sie ihn freisprechen“, appellierte der Anwalt an die Richterin. Eine Psychiaterin hatte Pistorius bereits während des Verfahrens eine „intensive Angststörung“ bescheinigt.

Roux gestand ein, dass sein Mandant im ersten Anklagepunkt - dem der Fahrlässigkeit - schuldig sein könnte. „Aber in diesem Prozess hätte es um Totschlag gehen sollen und nicht um Mord“, betonte er.

Roux widersprach mit zahlreichen Argumenten der Staatsanwaltschaft. Minute für Minute ging er den Tatabend durch und benannte Widersprüche. So hätten etwa Nachbarn ausgesagt, einen Streit und die Schreie einer Frau gehört zu haben, während Zeugen der Verteidigung keinen Streit, sondern nur die Schreie eines Mannes gehört haben wollen. „Würde es Sinn machen, dass der Beschuldigte vor dem Abfeuern der Schüsse "Hilfe, Hilfe, Hilfe" rufen würde?“, fragte Roux.

Pistorius habe stattdessen verzweifelt um Steenkamps Leben gekämpft, als er sie im Bad fand, und weinend um Hilfe gerufen. „Warum würde er Hilfe für sie wollen, wenn er versucht hätte, sie umzubringen... so dass sie überleben und sagen könnte: Dieser Mann hat versucht, mich umzubringen“, fragte Roux. All dies entspreche nicht dem Verhalten nach einem Mord. „Es entspricht einem Unfall. Einem gewaltigen, unglücklichen Fehler.“

Die Richterin nannte einen Vergleich von Roux unpassend: Der Verteidiger hatte gesagt, Pistorius habe sich wie eine Frau verhalten, die jahrelang missbraucht worden sei und bei der sich alles Aufgestaute irgendwann gegen ihren Mann entlade. So ähnlich sei das bei seinem Mandanten gewesen, der jahrelang unter seiner Behinderung gelitten habe.