Arzt ohne Grenzen: "Ich bekomme mehr zurück als ich gebe "
Ein Zelt und einen notdürftig eingerichteten OP: Mehr hat der Berliner Chirurg Volker Herzog oft nicht, um Frauen in den ärmsten Ländern Afrikas zu operieren. Herzog arbeitet für „Ärzte ohne Grenzen“. Als selbstlosen Helden sieht er sich nicht.
Berlin. Manchmal hängt eine Schlange in der Dusche. Doch das ist für den Berliner Chirurgen Volker Herzog eine Kleinigkeit, an die er sich bei seiner Arbeit in Afrika gewöhnt hat. Sein Job für „Ärzte ohne Grenzen“ aber ist für Herzog nie zur Routine geworden. 27 Mal ist er für die Hilfsorganisation, die am 21. Dezember 40 Jahre alt wird, als Chirurg in die ärmsten Länder Afrika gereist.
Ein Abenteuerer ist Herzog nicht, Geld bekommt er für seine Einsätze kaum, nur eine Aufwandsentschädigung. Doch es gibt etwas, das ihm viel mehr wert ist: Die Freude am Helfen. „Ich kriege mehr zurück als ich gebe“, sagt er.
1998 hat Herzog, erfahrener Arzt an deutschen Kliniken, zum ersten Mal seinen Jahresurlaub zusammengelegt. Er ging als Kriegschirurg nach Afrika. Es gibt schreckliche Bilder, die sich eingebrannt haben. „In Sierra Leone haben sie Kindern die Hände abgehackt. Das war furchtbar“, erinnert er sich. Doch Herzog kehrte zurück: Liberia, Kongo, Äthiopien, Elfenbeinküste, Zentralafrikanische Republik.
Heute ist Herzog 67, ein hagerer, nachdenklicher Mann mit weißem Bart. Er ist früher in Rente gegangen, um nur noch als „Arzt ohne Grenzen“ zu arbeiten. Denn in Afrika begegnete er einem Leiden, das in Europa kaum jemand kennt: Geburtsfisteln. Sie treffen hunderttausende junger Frauen, die zu lange in den Wehen liegen. Das Kind bleibt im Geburtskanal stecken, das Gewebe dort stirbt ab und es entstehen röhrenartige Verbindungen Richtung Blase oder Darm.
Für die Mütter ist das eine Katastrophe. Ihr Baby stirbt. Wenn sie die Geburt überleben, dann um den Preis unbeherrschbarer Inkontinenz. „Diese Frauen stinken ständig nach Urin oder Kot. Es ist unmöglich, mit ihnen zusammenzuleben“, sagt Herzog. Deshalb würden sie von Ehemännern und Familien verstoßen und wie Aussätzige an die Ränder ihrer Dörfer verbannt. „Sie haben keine Lobby. Ihr einziges Verbrechen ist, dass sie ein Kind bekommen haben“, sagt Herzog.
Das hat ihm keine Ruhe gelassen. Es ist auch für erfahrene Chirurgen nicht einfach, Geburtsfisteln zu operieren. Doch Herzog hat die Technik nach und nach in Afrika gelernt. „Ich habe mir immer gesagt: Irgendwann wirst du das machen“, erinnert er sich. Das war vor fünf Jahren. Heute sind Geburtsfisteln wie seine private Mission. Gerade ist Herzog nach drei Monaten aus dem ostafrikanischen Burundi zurückgekehrt. In die Freude über 150 junge Frauen, die singend in ein gesundes Lebens aufgebrochen und zu ihren Familien zurückgekehrt sind, mischt sich Trauer. Zwei Patientinnen sind gestorben.
„Ihr Tod geht mir nahe“, sagt Herzog. „Wir konnten die Entzündungen nicht beherrschen.“ Es sind Momente, in denen sich Herzog schöne Erinnerungen ins Gedächtnis ruft: Eine Frau im Kongo, die ihn sprechen wollte, einen kleinen Jungen auf dem Arm. „Ich hatte sie vor drei Jahren operiert“, berichtet der Arzt. „Sie erzählte mir, dass sie danach dieses Kind bekommen hat.“ Die junge Mutter brachte einen Eimer Reis als Dank mit. Und sie sagte, dass sie ihren Sohn Volker genannt habe - nach Volker Herzog, ihrem Retter.
Nicht alle Erlebnisse sind so rührend. Herzog hat Granaten über den OP pfeifen hören, er kennt die Einsamkeit und die Entbehrungen in Zeltstädten, auch das Ringen um Respekt in afrikanischen Teams. Er zweifelt an Hilfsorganisationen, die sich wie neue Kolonialherren aufführen. Er muss auf die eigene Unabhängigkeit achten, schon ein Flug in einer UN-Maschine könnte sie beschädigen. Herzog hadert mit Medien, die sich ihre Geschichten inszenieren lassen. Doch ohne Berichte über Tragödien in Afrika gehe es eben auch nicht, sagt er.
Es ist ein Wechselbad der Gefühle, in dem sich Herzog auch selbst hinterfragt. „Ich bin kein selbstloser Held“, sagt er schließlich. Für einen Arzt sei es eine spannende Herausforderung, so zu arbeiten. „Da ist viele Freude“, sagt er. Weihnachten feiert er mit seiner Familie. Doch im Januar geht es wieder nach Afrika - zum 28. Einsatz.