Atomkatastrophe: Extreme Strahlung in Fukushima
Tokio/Fukushima (dpa) - Die radioaktive Verseuchung am japanischen Katastrophen-Atomkraftwerk Fukushima hat extreme Werte erreicht. Wasser in den Reaktoren ist hochgradig verstrahlt. Das Meer nahe der maroden Meiler ist immer stärker belastet.
Der Kraftwerks-Betreiber ließ Bodenproben vom Gelände der havarierten Anlage von unabhängigen Spezialisten auf das hochgiftige Schwermetall Plutonium untersuchen. In Japans Bevölkerung stieg die Unzufriedenheit mit dem Krisenmanagement der Regierung. In Deutschland forderten bei den bislang größten Massenprotesten gegen Atomkraft bis zu 250 000 Menschen einen Sofortausstieg aus der Kernenergie.
Die Strahlung im Wasser des Reaktors 2 lag nach Angaben des Betreibers Tepco vom Montagmorgen (Ortszeit) 100 000 Mal höher als normal. Zuvor hatte der Betreiber nach Messungen im Turbinenhaus sogar von einer zehn Millionen Mal höheren Belastung als sonst berichtet, danach aber von Messfehlern gesprochen. Arbeiter, die Messungen in dem Krisenmeiler durchführten, mussten wegen der tödlichen Strahlung das Feld räumen.
Die japanischen Agenturen Jiji und Kyodo berichteten von einer Strahlenbelastung von 1000 Millisievert pro Stunde im Wasser von Block 2. Das würde bedeuten, dass ein Arbeiter den bereits von 100 auf 250 Millisievert angehobenen Grenzwert binnen 15 Minuten abbekommen hätte. Die Reaktorsicherheitsagentur NISA hatte von einer hohen Konzentration des Isotops Jod-134 im Wasser von Reaktor 2 berichtet. Dies könne auf einen Schaden am Reaktorkern hinweisen.
Die Notlage in Fukushima wurde durch das Erdbeben und den Tsunami vom 11. März ausgelöst, bei dem die Kühlsysteme der Meiler ausgefallen waren. Nach der Umweltkatastrophe wurden 10 804 Leichen geborgen, 16 244 Menschen werden noch vermisst. Die Lage der Erdbebenopfer ist noch immer dramatisch. Am Wochenende behinderten auch Schnee und eisige Temperaturen die Bergungsarbeiten. In vielen Unterkünften gibt es kein Heizmaterial.
Kraftwerks-Betreiber Tepco ließ Bodenproben vom Gelände der havarierten Anlage von unabhängigen Spezialisten auf das hochgiftige Schwermetall Plutonium untersuchen. Mit Ergebnissen sei innerhalb der kommenden Tage zu rechnen. Tepco selbst hatte kein Plutonium nachweisen können. In Fukushima gilt Block 3 als besonders gefährlich, weil es sich bei dessen Brennelementen um Plutonium-Uran-Mischoxide (MOX) handelt. Das radioaktive Plutonium hat eine Halbwertzeit von 24 000 Jahren. Gerät der Stoff in den Körper, kann Krebs entstehen.
Das Wasser in den Turbinenhäusern macht die verzweifelten Rettungsarbeiten in Fukushima lebensgefährlich. Es sollte dennoch abgepumpt werden, um an der dringend nötigen Verkabelung der Kühlsysteme arbeiten zu können. Mit der seit vielen Tagen erhofften Wiederherstellung der Stromzufuhr sollen die mächtigen Maschinen des regulären Kühlsystems wieder angeworfen werden. Wasser steht bis zu einem Meter hoch in den Turbinenhäusern von vier Reaktorblöcken von Fukushima Eins. Es ist jedoch unterschiedlich stark belastet.
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace forderte, die Evakuierungszone rund um das havarierte Atomkraftwerk auszuweiten. Nach Angaben von Greenpeace herrscht in dem Ort Iitate 40 Kilometer nordwestlich des Kraftwerks eine Strahlenbelastung von bis zu zehn Microsievert pro Stunde. Vor allem für Kinder und Schwangere sei es dort nicht sicher, weil sie bereits innerhalb weniger Tage der jährlich erlaubten Strahlenbelastung ausgesetzt seien, teilte Greenpeace-Strahlenexperte Jan van de Putte mit. Um das Kraftwerk gilt eine 20 Kilometer weite Evakuierungszone. Die Regierung legte Bewohnern im Umkreis zwischen 20 und 30 Kilometern Entfernung nahe, freiwillig die Gegend zu verlassen.
Das Meer vor Fukushima wird zunehmend radioaktiv mit dem Isotop Jod-131 verseucht. Am Sonntag übertraf die Strahlung den zulässigen Grenzwert bereits um das 1850-fache. Am Samstag war es noch das 1250-fache. Tepco räumte ein, dass wahrscheinlich radioaktives Wasser aus dem Atomwrack ins Meer geflossen sei. Experten gehen jedoch davon aus, dass sich die Konzentration der radioaktiven Substanzen im Meer schnell verdünnt, so dass derzeit keine größere Gefahr für Mensch und Umwelt bestehe.
Der Betreiber konzentrierte sich am Wochenende darauf, mehr und mehr Süßwasser in die havarierten Reaktoren von Fukushima Eins zu pumpen. Süßwasser hinterlässt beim Verdampfen kein Salz, das den Fluss des Kühlwassers behindern könnte. Ins Abklingbecken des vierten Reaktors, in dem abgebrannte Brennelemente gekühlt werden müssen, wurde am Sonntag aber weiterhin Salzwasser geleitet, sagte ein NISA-Sprecher.
Im Unterschied zum Super-GAU von Tschernobyl belastet die Katastrophe von Fukushima die Bevölkerung derzeit nicht mit einer unkontrollierbar großen Menge Radioaktivität. Die Gefahr eines Super-GAUs ist jedoch weiterhin nicht gebannt.
Seit Beginn der Krise wurden insgesamt 17 Arbeiter verstrahlt. Tepco räumte ein, dass drei verstrahlte Männer nicht vor dem radioaktiven Wasser im Turbinen-Gebäude gewarnt worden waren. Die drei Arbeiter sollten noch in einem Institut für Strahlenforschung untersucht und dann am Montag entlassen werden. Es gebe keine gesundheitlichen Probleme, berichtete die Nachrichtenagentur Jiji unter Berufung auf die Ärzte. Bei den zwei Arbeitern, die Verbrennungen an den Füßen erlitten hatten, sei die Belastung gering.
Inzwischen ist die Mehrheit der Japaner mit dem Umgang der Regierung mit der Atomkrise unzufrieden. Wie eine am Sonntag veröffentlichte Umfrage der Nachrichtenagentur Kyodo ergab, missbilligen 58,2 Prozent der Bürger das Krisenmanagement der Regierung. Viele Bürger kritisieren, nicht ausreichend über die radioaktive Verseuchung und die Gefahren informiert zu sein.
Die Gefahr ist auch nach Einschätzung des Chefs der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, Yukiya Amano, noch lange nicht gebannt. Es sei immer noch unklar, ob die Reaktorkerne und die abgearbeiteten Brennstäbe mit Wasser bedeckt seien und ausreichend gekühlt werden könnten, sagte Amano der „New York Times“.
Wenigstens tragen die Westwinde über Japan einen Großteil der radioaktiven Partikel von den Unglücksreaktoren in Fukushima auf das Meer hinaus. Wie lange dies so bleibt, ist nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes (DWD) in Offenbach aber ungewiss.
In Deutschland sank die Konzentration von radioaktiven Jodpartikeln aus Japan in der Luft wieder leicht. Messungen an der Station Schauinsland bei Freiburg ergaben nach Angaben des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) vom Sonntag einen vorläufigen Wert von 300 Mikrobecquerel je Kubikmeter Luft. Am Samstag waren laut abgeschlossener Auswertung noch 530 Mikrobecquerel nachgewiesen worden. Die Dosis sei so gering, dass es keine gesundheitlichen Bedenken gebe, betonte das BfS.
Nach der Atomkatastrophe wurden auch geringe radioaktive Spuren in Chinas Nordosten und in Frankreich entdeckt, allerdings in derart extrem geringen Dosen, dass sie weit unterhalb der höchstzulässigen Normen lagen.
Unterdessen mehren sich die Auswirkungen auf die Wirtschaft. Wie die „New York Times“ berichtet, haben mehrere große Reedereien den Frachtverkehr nach Tokio und Yokohama gestoppt oder eingeschränkt. Dagegen würden die von Fukushima weiter entfernten Häfen wie Osaka und Kobe weiterhin angelaufen.
Japanische Autohersteller überlegen, ihre Produktion abwechselnd herunterzufahren, um Strom zu sparen. Damit wollen die Konzerne verhindern, dass ihre Stromversorgung wegen Engpässen rationiert wird.
Japan sorgt sich auch um seine landwirtschaftlichen Exporte. Wie die Nachrichtenagentur Kyodo am Sonntag unter Berufung auf Diplomatenkreise berichtete, will Japan die Mitglieder der Welthandelsorganisation WTO bei einem informellen Treffen am Dienstag vor Überreaktionen warnen. Japan will demnach die WTO an die Einhaltung der eigenen Bestimmungen erinnern, wonach es verboten sei, ohne wissenschaftliche Beweise Handelsrestriktionen zu verhängen.