Auch Bayern boßeln wie die Friesen
So sieht ein echtes Stück ostfriesische Tradition aus: rund, glänzend und robust. Heinrich-Jürgen Eden streicht noch einmal über die glatte Oberfläche der Holzkugel.
Dann löst er sie aus der Drechselmaschine und wiegt sie prüfend in seiner Hand. „Das ist Ursprung“ - und das wichtigste Sportgerät im Norden, wo seit Jahrhunderten leidenschaftlich geboßelt wird.
Eine ruhige Landstraße, eine Kugel und mehrere Mitspieler - mehr braucht es für eine Boßelpartie nicht. Auf einer mehrere Kilometer langen Strecke gilt es, die Kugel jeweils weiter zu werfen als die gegnerische Mannschaft. Für Außenstehende mag das wie ein gemütlicher Spaziergang wirken. Doch wer gewinnen will, braucht Kraft und die richtige Wurftechnik.
Die Vereinssportler schwören auf Kugeln aus Kunststoff, die Hobby-Boßler auf die aus Gummi. Für Traditionalisten wie Eden kommt dagegen nur Holz infrage. Seit mehr als vier Jahrzehnten fertigt er in seiner Werkstatt in Mittegroßefehn, einem Dorf bei Aurich, die runden Wurfgeschosse aus Pockholz. Dieses stammt von Guajak-Bäumen, die in Südamerika wachsen. Es ist extrem schwer und fest.
Eden spannt einen Holzklotz in seine Maschine. Vorsichtig fährt er mit dem Messer an dem sich drehenden Block entlang. Sägespäne fliegen in alle Richtungen. Nach und nach entsteht eine Kugel aus dem Holz. Eden stoppt die Maschine und misst den Durchmesser. Dann nickt der 61-Jährige zufrieden: zwölf Zentimeter, perfekt für die Herren. 1,1 Kilo haben diese zu stemmen. „Eiche oder Buche würde nur die Hälfte wiegen“, erläutert Eden. Ohne Bleikern wäre da nichts zu machen.
Etwa 1000 Holzkugeln verkauft Eden pro Jahr. Früher - als es die Konkurrenz aus Kunststoff oder Gummi noch nicht gab - kam er auf bis zu 5000. Sein größter Kunde ist nach wie vor die Familie Carls im knapp 30 Kilometer entfernten Reepsholt. Sohn Deeke vertreibt die Kugeln und anderes Boßelzubehör inzwischen über einen Online-Shop. In der ersten Zeit nach der Eröffnung verkauften er und sein Team etwa hundert Kugeln pro Jahr. „Heute ist es ein Vielfaches mehr“, sagt der Unternehmer. Seine Verkaufszahlen zeigen: Der nordische Nationalsport ist angesagt - und dass nicht nur in Norddeutschland.
20 bis 30 Pakete sendet Deeke Carls jedes Jahr ins Ausland, darunter nach Australien, Spanien, Dänemark und in die USA. „Das sind alles Deutsche, die das noch aus der Heimat kennen und es ihren Freunden zeigen wollen.“ Doch nicht nur: In Irland, Italien und den Niederlanden ist aus ähnlichen Sportarten ebenfalls das Boßeln entstanden. Alle vier Jahre gibt es eine Europameisterschaft, die nächste ist im Mai in Italien.
70 000 Vereins-Boßler gibt es nach Angaben des Friesischen Klootschießer-Verbandes in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Die Zahl der Freizeitsportler müsste jedoch deutlich höher liegen. Bei ihnen ist Boßeln besonders in der kühlen Jahreszeit beliebt, kombiniert mit einer Kohlfahrt. Dazu gehören ulkige Spiele, viel Alkohol, den die Gruppe in einem Bollerwagen hinter sich herzieht, und ein deftiges Grünkohlessen am Ende.
Boßeln als Partyspaß - dieses Image haben die Liga-Spieler allerdings nicht so gern. „Wir kämpfen schon damit, als Sportart anerkannt zu werden“, sagt Stephan Gerdes von den Friesischen Klootschießern. Für die Wettkämpfer ist Boßeln ein Leistungssport wie jeder andere, für den sie mehrmals die Woche trainieren müssen. Alkohol habe da nichts zu suchen, meint Gerdes.
Eine Variante mit besonderem Schwierigkeitsgrad pflegen einige versprengte Boßler in Bayern und Österreich. Statt durchs Flachland führt ihr Parcours steil bergauf und bergab. Extremboßeln nennen Walter-Leo Lidschreiber und seine Kollegen das. Vor etwas mehr als zwei Jahren traten sie im friesischen Schillig zum Nord-Süd-Duell an. Die Partie endete mit einer herben Niederlage für die Bergboßler. „Seither warten wir noch immer auf die Revanche“, sagt Lidschreiber. Dann natürlich im bergigen Süden.