Auf Sankt Martins Spuren durch Trier

Ja, es gab ihn wirklich. Dies vorweg. Sankt Martin, dieser November-Heilige, war eine reale Gestalt. Er lebte im 4. Jahrhundert. Und er ist für damalige Verhältnisse ganz schön rumgekommen. Auch das römische Trier hat Martin besucht.

Hans-Georg Reuter hat sich auf die Spur des Heiligen begeben und einen Spazierweg durch die Stadt konzipiert. „Was wir über das Leben Martins wissen, verdanken wir fast ausschließlich seinem Biografen Sulpicius Severus, der ihn persönlich kannte.“ Sein Buch sei bereits zu Lebzeiten des Heiligen erschienen. „Es war ein Bestseller“, weiß Reuter, der bis zu seinem Ruhestand für das Bischöfliche Generalvikariat in Trier gearbeitet hat. „Es stilisiert Martin zu einem zweiten Christus.“ Viele legendenhafte Ereignisse reihen sich neben historische Fakten, die beispielsweise davon berichten, dass Martin zwischen 371 und 385 mehrere Male in der Stadt an der Mosel gewesen ist.

„Der Martinsweg durch Trier will die verschiedenen Seiten des Heiligen zeigen“, erklärt Reuter sein Konzept. Neben den Orten, die Martin besucht hat und denen, die an ihn erinnern, werden auch Institutionen gestreift, die sich den Ideen Martins verpflichtet fühlen. An diesen ,Orten des Teilens’ wird Menschen in Not geholfen, sie verdeutlichen den Wert karitativer Arbeit, der Solidarität und auch des ehrenamtlichen Engagements. So gibt es im Café Basilika gegen eine Spende kostenlos Kaffee und Kuchen sowie Gespräche. Der Hintergrund dieses Projektes: Im Jahr 2005 hat der Europarat Martin, „einer europäischen Persönlichkeit, einem Symbol des Teilens, der gemeinsame Werte verkörpert“, einen eigenen Kulturweg gewidmet. Er verbindet Martins Geburtsort Szombathely in Ungarn, wo er 316 das Licht der Welt erblickte, mit Tours an der Loire. Dort wurde er am 11. November 397 bestattet. „Neben Worms ist Trier die einzige deutsche Stadt, von der man weiß, dass Martin sie tatsächlich aufgesucht hat“, informiert Reuter. Vor einer Schlacht bei Worms habe er die Entscheidung getroffen, nach 25 Jahren als Soldat aus dem Kriegsdienst auszuscheiden. Da hatte er bereits den Mantel geteilt und sich taufen lassen. Danach gründete er bei Poitiers eine Eremitengemeinschaft, lebte zurückgezogen und bescheiden.

Nach Trier kam Martin in seiner Eigenschaft als Bischof von Tours. „Er traf sich mit den römischen Kaisern, um über kirchenpolitische Themen zu debattieren.“ Reuter kennt seinen Sulpicius Severus und erzählt vom Streit über Priszillian, einen asketischen, kirchenkritischen Bischof, der der Irrlehre gescholten hingerichtet werden soll. „Martin ergreift Partei für ihn, da er der Meinung ist, dass man Menschen mit anderen Ansichten nicht töten solle.“ Außerdem fordert er den Kaiser als Vertreter des Staates auf, sich nicht in kirchliche Belange einzumischen.

Martinexperte Hans-Georg Reuter

„Vor einem wichtigen Treffen betet Martin eine ganze Nacht in der Bischofskirche“, berichtet Reuter. Bauteile dieses Gotteshauses aus römischer Zeit sind im heutigen Dom noch deutlich zu erkennen. Und von der Basilika, dem römischen Kaiserpalast, in dem die Unterredungen mit den jeweiligen Machthabern stattgefunden haben, stehen noch die Apsis und die gewaltige Westfassade.

War denn Martins Intervention erfolgreich? „Zunächst ja“, führt der Trierer Experte aus, „dann aber kam es zu einem weiteren Prozess gegen Priszillian, bei dem dieser unter Folter seine Irrlehren gestand und hingerichtet wurde.“ Martin konnte die Verfolgung der Anhänger Priszillians nur unter der Bedingung stoppen, dass er in die Gemeinschaft der Bischöfe zurückkehrte, die er verlassen hatte, weil diese die Verfolgungen unterstützten. „Sofort danach hat Martin die Stadt verlassen.“ Sein Weg führte über die Moselbrücke, die älteste Brücke Deutschlands, deren römische Pfeiler bis heute dem Verkehr standhalten. Die Stadt hatte er zum letzten Male besucht.

Über acht Kilometer folgt man in Trier der Spur des Heiligen. Der Weg führt zum ehemaligen Martinskloster, heute ein Studentenwohnheim, mit einem schönen Relief der Mantelteilung an der Fassade. An und in der neoromanischen Martinskirche gibt es mehrere Darstellungen des Heiligen zu sehen. Der Hochaltar in Form eines Triumphbogens wird beherrscht vom Mosaikbild des Kirchenpatrons. Hans-Georg Reuter weist auf das ungewöhnliche Glasfenster hin. Es zeigt Martin mit einer Gans zu seinen Füßen. „Der Legende nach sollen Gänse sein Versteck durch ihr Geschnatter verraten haben.“ Martin wurde dann doch Bischof, was er durch seine Flucht in den Gänsestall eigentlich verhindern wollte. Auch die Porta Nigra streift der Trierer Martinsweg. Die westliche Vorhalle ist mit Porträts der für die Stadt bedeutenden Heiligen geschmückt, darunter eine Barockfigur St. Martins als Bischof. Nahe den Ausgrabungen der römischen Viehmarktthermen habe der Prozess gegen Priszillian stattgefunden, informiert Reuter. „Hier stand das römische Forum.“ Badete Martin denn in den Thermen? „Nein, er legte keinen Wert auf Körperkultur“, erwidert Reuter schmunzelnd. „Auf unserem Weg wollen wir auch an Männer erinnern, die im Geiste des Heiligen gewirkt haben.“ So ist zum Beispiel in der Maria-Hilf-Kapelle das Grab von Peter Friedhofen und in der Jesuitenkirche ein Standbild Friedrich Spees zu sehen. Letzterer, der in der Kirche auch bestattet wurde, war im Trier des frühen 17. Jahrhunderts ein Kämpfer gegen den Hexenwahn. Friedhofen, ein gelernter Schornsteinfeger, gründete 1849 die Kongregation der Barmherzigen Brüder, die bis heute in der ganzen Welt Kranke pflegen und in Trier ein Krankenhaus betreiben.

Eine weitere Station sind die Vereinigten Hospizien, deren Ursprung ein Frauenkloster aus dem 8. Jahrhundert war. „Auf den großen Areal wird seit 1300 Jahren karitativ gewirkt“, weiß Hans-Georg Reuter. Das Eingangstor zum grünen Innenhof zeigt die sieben Werke der Barmherzigkeit. Auch Deutschlands ältester Weinkeller liegt hier. Er kann besichtigt werden. Selbst dem in Trier geborenen Karl Marx widmet der Martinsweg ein Kapitel. An seinem Geburtshaus, in dem ein Museum Leben und Werk des Kapitalismuskritikers dokumentiert, erwähnt Reuter die Unterschiede im Denken und Handeln von Marx und Martin. „Beide engagierten sich für die Armen, der eine wollte enteignen, der andere appellierte ans freiwillige Teilen“, fasst der Trierer Martin-Kenner zusammen. Wer jedoch in die heutige Welt blicke, müsse leider feststellen, dass beide Ansätze weder der Armut noch der Ungerechtigkeit die Wurzel ausgerissen hätten. So begegnet der Spaziergänger auf der Suche nach Martins Spuren nicht nur der Geschichte, er wird auch immer wieder mit der Gegenwart konfrontiert, für die man sich noch viel mehr Menschen wünscht, die im Geiste Martins handeln.