Auf Schatzsuche - Vintage-Mode ist eine Reise durch die Zeit

Berlin (dpa/tmn) - Nicht weit von dem Blazer mit Leopardenmuster hängt eine ausgebeulte schwarze Lederjacke mit Nieten. Nur schwer zu übersehen ist die lilafarbene Strickjacke mit Glitzerapplikationen, die in Kombination mit der weißen Hippiespitzenbluse sicherlich - sagen wir - speziell aussehen würde.

Foto: dpa

Im Berliner Vintage-Laden „Made in Berlin“ reisen Kunden durch die Zeit. Hier kommen sich Flower-Power-Schlaghose und Schulterpolsterjackett ganz nahe, hier flirten Marlenehose und Cowboystiefel heftig miteinander.

Foto: dpa

„Vintage-Sachen haben eine Geschichte, und die ziehe ich an“, erklärt Personal-Shopperin Andrea Lakeberg aus Berlin. Doch Vintage ist nicht gleich Vintage. Es gibt Designer-Second-Hand-Läden. „Und da kann so eine tolle Handtasche von Chloé oder Fendi, die schon 20 Jahre auf dem Buckel hat, richtig teuer sein.“ In solchen Läden gibt es zeitlose Klassiker, Liebhaberstücke. Und dann gibt es auch noch das genaue Gegenteil: Sachen zum Kilopreis. „Da ist auch viel Ramsch bei“, sagt Lakeberg.

Foto: dpa

Und es gibt Vintage-Mode, die irgendwo in der Mitte liegt. Hier geht es nicht um den Preis, die Kleidung ist weder besonders teuer, noch besonders billig. Es sind Stücke aus einer anderen Zeit, oft ausgefallen, manchmal sehr speziell, teils repräsentativ für ein bestimmtes Jahrzehnt: eine Cat-Eye-Sonnenbrille à la Audrey Hepburn. Eine 80er-Jahre Neonleggins. Ein Flanellhemd, das auch Kurt Cobain gefallen hätte.

Foto: dpa

Doch worin liegt der Reiz, getragene Klamotten zu kaufen? „Es geht um das Gefühl, dass in dem Paillettenkleid schon mal jemand eine wilde Partynacht gefeiert hat“, sagt Lakeberg. Es sei eine sentimentale Reise. Und wer Vintage kauft, kauft oft Unikate. So ist es auch die Idee der Einzigartigkeit, die dahintersteckt. „Es geht nicht darum, dass man sich neu nicht leisten kann.“ Vielmehr könne die abgeranzte Lederjacke einfach niemand nachkaufen.

Foto: dpa

„Es ist der alte Jäger und Sammler in uns“, beschreibt es Modeexperte Joachim Schirrmacher von der Stiftung der Deutschen Bekleidungsindustrie. Vintage gebe die Möglichkeit, einen individuellen Stil zu kreieren. Mit der Massenmode der großen Ketten sei das nur schwer zu machen. Doch er betont noch etwas anderes: „Ein Produkt ein Leben lang zu tragen, bis es wirklich auseinanderfällt, ist natürlich nachhaltiger, als es neu zu produzieren.“ Ein Kleidungsstück nur einmal anzuziehen und es dann wegzuwerfen - das sei ökologisch verheerend. Das Vintage-Konzept ist das Gegenteil von Wegwerfmentalität.

Das beobachtet auch Leila Mesgarzadeh, Geschäftsführerin des Unternehmens Modemarkt Freestyle, zu dem auch der Vintage-Laden „Made in Berlin“ gehört. Für einige ihrer Kunden steht der Nachhaltigkeitsgedanke im Vordergrund. „Diese Käufer lehnen Fast Fashion ab und möchten mit ihrem Einkauf, also dem „Weitertragen“ von Kleidungsstücken, ein Zeichen für Ressourcenschonung und Umweltschutz setzen“, erklärt sie. Andere möchten lieber eine originale Schlaghose aus den 70er Jahren tragen als ein Duplikat von 2015.

Mesgarzadeh bezeichnet sich selbst als einen ihrer treusten Kunden. „Individualität und Nachhaltigkeit sind Teile meines Lebensstils.“ Sie liebt besonders Mäntel und Kleider aus den 60er und 70er Jahren. Doch wie stylt man so ausgefallene Klamotten? „Ich würde mich jetzt nicht von Kopf bis Fuß darin kleiden“, rät Lakeberg. Sie empfiehlt, die Vintage-Stücke als Eyecatcher einzusetzen.

Die Personal Shopperin findet allerdings, dass auch die Qualität der Kleidungsstücke eine Rolle spielt. Denn nur weil es eine alte Designertasche ist, muss das Innenfutter nicht zerfleddert sein. „Die Sachen müssen auf jeden Fall intakt sein.“ Gleichzeitig ist es ihr wichtig, auf die Kleidung zu achten. Denn bei guter Pflege könnten hochwertige Stücke womöglich noch einmal 20 Jahre überdauern.

Das Wichtigste beim Vintage-Shopping sei aber das Kauferlebnis an sich, betont Lakeberg. In einen normalen Laden gehen und nach dem Shirt in seiner Größe fragen - das könne jeder. Vintage-Shopping ist viel intensiver, eine Reise ohne konkretes Ziel. Der Fund kann am Ende alles sein: ein Plisseekleid aus den 1960er Jahren, ein Wollpulli im Omastil oder eine pinke Glitzerweste. „Es ist eine Schatzsuche.“