Banaszaks Sorge vor zu viel grüner Selbstgewissheit
Der Landesparteitag der Grünen wählt den 28-Jährigen aus Duisburg zum neuen NRW-Vorsitzenden.
Kamen. Sind die Wunden der Wahlniederlage vom Mai 2017 schon verheilt? Als Fraktionsvorsitzender Arndt Klocke ans Rednerpult des Landesparteitags der Grünen in Kamen tritt, tut er das bereits im Gestus einer selbstbewussten Oppositionspartei. Schwarz-Gelb habe sich in einem halben Jahr von einer Koalition der Erneuerung zu einer Koalition der Ernüchterung entwickelt, „ausgesprochen ideenlos und blutleer“. Die Grünen halten dagegen ihre parlamentarischen Erfolge hoch: dass bei den Flüchtlingsberatungsstellen im Land doch keine 17 Millionen Euro gespart werden, dass das Sozialticket doch bleibt.
Es ist an dem neuen Landesvorsitzenden Felix Banaszak (28) aus Duisburg, noch etwas auf die Euphoriebremse zu treten. Als er sich für das Amt bewirbt, verbreitet er natürlich pflichtgemäß auch Optimismus: „Wir gehen mit geradem Rücken nach vorne und haben noch viel vor mit diesem Land.“ Aber für ihn ist die Suche nach einer Antwort auf den Machtverlust noch nicht beendet: „Wir müssen offener und kritikfähiger werden.“ Auch unbequemes Feedback dürfe nicht unter den Tisch fallen. „Die Wahlniederlage war kein einmaliges Ereignis“, wird er später sagen. Das könne wieder passieren, wenn die Grünen zu selbstgewiss seien.
Dass Banaszak zum Nachfolger von Sven Lehmann gewählt werden würde, war von vielen erwartet worden. Aber dass es am Ende ein gar nicht so gewaltiger Vorsprung auf Landesschatzmeister Wolfgang Rettich (39) aus Bochum wird, überrascht manchen der 267 Delegierten dann doch. Banaszak erhält 151 Stimmen (56,6 Prozent), der vor allem kommunalpolitisch orientierte Rettich 109 (40,8 Prozent). Für ihre meist zu zweit absolvierte Bewerbungstour durch die Kreis- und Bezirksverbände gibt es viel Anerkennung.
Und dann ist da noch der bizarre Auftritt von Felix Naumann. Spontan tritt der 27-Jährige als dritter Kandidat an, ohne dass sein Kreisverband Düsseldorf zuvor irgendetwas von seinen Ambitionen erfahren hätte. Ohnehin gehört er der Partei gerade mal seit Ende vergangenen Jahres an. Bei der Landtagswahl war er noch Spitzenkandidat für das Bündnis Grundeinkommen NRW. Die adäquate Antwort der Delegierten: nicht eine einzige Stimme.
Ansonsten gehört der Tag dem dreifachen Abschied. Der scheidende Vorsitzende Sven Lehmann, seit Oktober Bundestagsabgeordneter, gibt seiner Partei noch mit auf den Weg: „Die Grünen waren immer stark, wenn sie nicht darauf gesetzt haben, populär zu sein.“ Er warnt davor, die Themen der sozialen Gerechtigkeit und der Rechte von Minderheiten gegeneinander auszuspielen.
Ex-Schulministerin und Ex-Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann, zuletzt durch die Wahlniederlage in NRW arg gebeutelt, gelingt ihr Abschied auf dem Parteitag ähnlich souverän wie ihr vorheriger Verzicht auf alle Parteiämter und der Rückzug aus dem Landtag. Ihr Appell an die Parteiflügel: „Lasst uns bitte immer klar machen, dass uns mehr eint.“ Und ihr zweiter Ratschlag an die Partei, durchaus mit selbstkritischer Note: bei der Verfolgung richtiger Ziele die Menschen nicht zu überfordern und mehr Sorgfalt auf die Transformationsprozesse zu legen.
Dass für die NRW-Grünen in jeder Hinsicht neue Zeiten anbrechen, wird mit dem dritten Abschied deutlich. Bärbel Höhn, einst Umweltministerin unter Johannes Rau und zuletzt bis zur Wahl 2017 noch Bundestagsabgeordnete, trat 1985 in die Grünen ein. Da war der neue Vorsitzende Felix Banaszak noch gar nicht geboren.
Banaszak steht jetzt als Vertreter des linken Flügels zwar recht einsam neben der Realo-Vorsitzenden Mona Neubaur und den ebenfalls realpolitisch orientierten Fraktionsspitzen Monika Düker und Arndt Klocke. Aber alle vier sind ohnehin auf der Suche nach Wegen, der grünen Selbstbespiegelung zu entkommen. Neubaurs Formel dafür: „Raus aus den Sitzungssälen, hin zu den Menschen.“
Auch mit der Verkleinerung des Landesvorstandes wollen die Grünen flexibler werden. Die Delegierten stimmen mit breiter Mehrheit für ein Eckpunktepapier, das die Reduzierung von 20 auf acht Mitglieder skizziert. Der Vorstand soll künftig aus den vier hauptamtlichen Mitgliedern des geschäftsführenden Vorstands und vier ehrenamtlichen Beisitzern bestehen. Die dafür nötige Satzungsänderung steht im Juni zur Abstimmung.