Beach Boys in Deutschland - Das Ende eines langen Sommers
Berlin (dpa) - Es scheint fast alles wie früher, als die grauhaarigen Männer die Bühne betreten. Knapp 10 000 Menschen jubeln, klatschen oder rufen etwas, das im Lärm untergeht.
Was die Fans noch vor einem Jahr für unmöglich gehalten hätten, nimmt in der Berliner Arena am Freitagabend greifbare Gestalt an. Brian Wilson steht einträchtig mit Mike Love, Al Jardine, Bruce Johnston und David Marks vor dem Publikum und stimmt sein „Do it again“ („Mach es noch einmal“) an - die Beach Boys sind nach 46 Jahren wieder gemeinsam in Deutschland.
Ein halbes Jahrhundert vorher - die 60er nahmen gerade Fahrt auf - waren es eher ohrenbetäubend kreischende Teenager als alterndes Sitzplatzpublikum, die die fünf Jungs bedrängten. Der Surfrock, den Komponistengenie Wilson mit seinen Brüdern, seinem Cousin und Freunden seit 1961 kreiert hatte, tat seinen Teil zum „Mythos Kalifornien“ bei, der ohne Songs wie „Surfin' USA“ ein anderer wäre.
„Wir sangen von dem, was wir kannten. Und das war das perfekte Kalifornien“, erklärt Johnston. „Vergiss das Bandimage - damit sind wir aufgewachsen.“ Mit hoher Falsettstimme und Chorgesang schwärmten die Jungs vom ganz und gar unbeschwerten, immerwährenden kalifornischen Sommer, dem Surfen als Lebensgefühl und der Leichtigkeit des hedonistischen Lebens.
Auch die Beach Boys von heute geben sich im Interview locker und harmonisch. Streit gibt es höchstens über die Automodelle, die sie einst fuhren. Nur Wilson, verehrt als einer der größten Musiker seiner Generation, wirkt anders. Während seine Bandkollegen vor dem Fototermin in der Ecke Scherze treiben und Love mit der Visagistin flirtet, sitzt der 70-Jährige versunken in seinem Stuhl, schaut nur selten und kurz auf, um den Blick danach wieder zu senken.
Hinter der Guten-Laune-Erfolgsstory der US-Legenden verbirgt sich noch eine andere: Es ist die vom einsamen Genie, das dem Druck nicht standhalten und mit dem selbst gegebenen Image nie etwas anfangen konnte: „Meine Stimmung ist oft nicht so sonnig. Seit ich mich erinnern kann, habe ich diese Anflüge von Melancholie, woher genau die kommen, weiß ich nicht“, sagte er Ende 2011 dem „Zeit Magazin“.
Diese nachdenkliche und pessimistische Weltsicht gab dem Werk Wilsons aber auch seine Tiefe. 1966 gelang ihm mit „Pet Sounds“ eines der einflussreichsten Alben aller Zeiten. Paul McCartney bekannte, das Album habe die Beatles - mit denen Wilson über den Atlantik hinweg konkurrierte - zu ihrem eigenen Meisterwerk „Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band“ inspiriert.
Doch der labile Wilson übernahm sich. Nachdem er nach Nervenzusammenbrüchen Mitte der 60er dem Tour-Leben der Beach Boys den Rücken gekehrt hatte, schied er - süchtig nach Tabletten und Konsument von Haschisch, LSD und Kokain - schließlich ganz aus. Ob auch bandinterner Richtungsstreit eine Rolle gespielt hat? Jardine schaut argwöhnisch, Johnston holt tief Luft. Man müsse sich ihren Gesang auf dem lange unveröffentlichten Album „Smile“ kurz vor Wilsons Rückzug anhören: „So können keine Feinde singen.“
Als Freunde stehen sie an diesem Abend wieder zusammen auf der Bühne - zur Feier ihres 50-jährigen Bestehens. Wilson hat den Kraftakt gewagt und das Comeback geschafft, nur seine schon vor Jahren gestorbenen Brüder Carl und Dennis fehlen im Reigen der Gründer. Wilson sitzt an einem Flügel, sein Gesicht ist ausdruckslos und er wirkt hölzern. Die Drogen von früher und Psychopharmaka gegen Depressionen zeichnen ihn bis heute. Das Tempo ist hoch, aber Wilson zieht mit. Spätestens beim Hitfeuerwerk im zweiten Teil der Show werden die Stühle im tanzenden Saal nicht mehr gebraucht.
Bei allem Hype um die Jubiläumstour vergisst Wilson auch auf dem neuen Album „That's Why God Made The Radio“ die Trauer über die Vergänglichkeit des Lebens nicht. Love singt von den guten Zeiten, die „niemals enden müssen“. Wilson dagegen sieht in „Summer's gone“ („Der Sommer ist vorbei“) das Ende kommen: „Wir lachen, wir weinen. Wir leben und sterben und träumen von gestern.“