Berlin inspiriert R.E.M. zu einem starken Album

Berlin (dpa) - Im Hansa-Tonstudio nahe der Mauer entstand Mitte der 70er Jahre mit David Bowies „Heroes/Helden“ die wohl berühmteste Berlin-Hymne der Rockmusik.

Die vier Iren von U2 ließen sich dort kurz nach der Wende zu ihrem Meisterstück „Achtung Baby“ anregen. Solch ein Klassiker wird „Collapse Into Now“ (Warner), das neue Album von R.E.M., wohl nicht werden - auch wenn es in dieser Woche auf Anhieb auf Platz eins der deutschen Hitparade eingestiegen ist. Immerhin ist dem US-Trio mit dem Song „Überlin“ eine lässige Stimmungsstudie aus der deutschen Hauptstadt gelungen.

Nicht nur wegen der Berlin-Anklänge ist auch die 15. Studioplatte von Sänger Michael Stipe, Gitarrist Peter Buck und Bassist Mike Mills wieder ein Hit-Album. „Collapse Into Now“ bietet zwar nichts, was R.E.M. in ihrer knapp 30-jährigen Karriere nicht irgendwann schon mal ähnlich gemacht hätten. Das mit 41 Minuten recht kompakte Album führt Einflüsse und Vorlieben der verdienstvollen Band aus Athens/Georgia jedoch so geschickt zusammen, dass man durchaus von einem starken R.E.M.-Werk sprechen kann.

Schon der Opener „Discoverer“ und das anschließende „All The Best“ vibrieren nur so vor rauer Alternative-Rock-Energie und knüpfen damit nahtlos an das Vorgänger-Album „Accelerate“ (2008) an. Im erwähnten „Überlin“ schildert Stipe zu Bucks klingelnden Byrds-Gitarren seine Streifzüge durch das Nachtleben der gerade für Amerikaner so reizvollen Metropole. Während der „Collapse“-Aufnahmen soll der Sänger oft im Berliner Techno-Tempel „Berghain“ tanzen gewesen sein.

„Hey now, take the U-Bahn / 5 stops, change the station / hey now, don't forget that change will change You...“, so besingt Stipe diese offensichtlich auf- und anregende Mußezeit. In einem Interview des Musikfachblatts „Rolling Stone“ nannte er Berlin „eine großartige Erfahrung“. Und fügte ein Lob hinzu, das nicht jeder Hauptstadt-Tourist unbedingt unterschreiben wird: „Diese Stadt öffnet sich wirklich den Menschen, die sich für sie interessieren.“ International habe Berlin „diesen Ruf, dass man hier alles machen kann, was immer man will“. Im Roten Rathaus wird man Stipes Worte gern gelesen haben.

Man kann es kritisieren oder auch einfach nur genießen, dass das neue Album so überaus entspannt daherkommt und viele Versatzstücke des typischen R.E.M.-Sounds unter einen Hut bringt. „Oh My Heart“ oder „It Happened Today“ mit ihren Bläser-, Akkordeon- und Mandolinen-Arrangements erinnern an die größte Bandphase Anfang der 90er Jahre, als Stipe & Co. mit „Automatic For The People“ (1992) einen bis heute unerreichten Klassiker schufen.

Die Mutmacher-Ballade „Every Day Is Yours To Win“ hat fast die brennende Intensität von „Find The River“, dem vielleicht schönsten R.E.M.-Song überhaupt. Auch „Walk It Back“ wärmt das Herz mit hypermelodischen Klavier- und Gitarren-Klängen. In „Mine Smell Like Honey“ und „Alligator“ schließlich blickt das Trio zurück auf seine Garagenrock-Vergangenheit in den 80ern.

Selbstzitat oder nicht - weil die zwölf Songs dermaßen rund und eingängig sind, verschmerzt man den Mangel an Innovation. Und es schadet sicher auch nicht, dass mit den Indierock-Ikonen Peaches und Patti Smith sowie Eddie Vedder (Pearl Jam) einige bekannte Namen auf der Gästeliste des „Berlin-Albums“ von R.E.M. stehen. Unter dem Strich bleiben die drei US-Musiker zuverlässige Lieferanten formidabler Gitarrenrock-Platten für die vorderen Ränge der Charts.