Bilder aus dem „Menschenschlachthaus“ in Wuppertal
Wuppertal (dpa) - Der Mann auf dem Ölgemälde zeigt mit dem Zeigefinger auf sein Revers, über das Herz, dorthin, wo zum Beispiel ein Orden hängen könnte.
Oskar Kokoschka (1886-1980) hat dieses Selbstbildnis 1917 mit unruhigen dicken Pinselstrichen gemalt. Genau an der Stelle, auf die er zeigt, durchbohrte im Ersten Weltkrieg eine Bajonettklinge seine Brust. Der österreichische Maler beschrieb später, wie „eine Welle des Glücks“ ihn erfüllte, als das Blut herausschoss. „Ich flog durch die Luft. So einfach war es also zu sterben?“. So erlebte Kokoschka den Nahtod und verarbeitete ihn in einem scheinbar harmlosen Selbstporträt.
Das Gemälde Kokoschkas zeigt weder Blut noch Tod, doch es gehört zu den eindrücklichsten einer deutsch-französischen Gemeinschaftsausstellung im Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum. In diesen Wochen häufen sich die Ausstellungen, die an den Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren erinnern. Das Besondere an der Wuppertaler Schau ist, dass sie die Schreckenserfahrung aus der Sicht von deutschen und französischen Künstlern thematisiert.
Zusammen mit dem Museum der Schönen Künste der Stadt Reims zeigt das Von-der-Heydt-Museum ab Dienstag die Schau „Menschenschlachthaus“. Im September wandert sie in veränderter Form unter dem Titel „Tage des Kriegs und des Friedens“ nach Reims, wo sie wahrscheinlich von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Präsident François Hollande gemeinsam eröffnet werde, sagt der Wuppertaler Museumsdirektor Gerhard Finckh.
Die Zusammenarbeit mit Reims ist symbolhaft, denn es war die erste französische Großstadt, die 1914 von den deutschen Truppen bombardiert wurde. Dabei wurde die berühmte Krönungskathedrale zerstört. Jeweils rund 160 Kunstwerke haben beide Museen zur Verfügung gestellt und durch Leihgaben ergänzt - Werke von Otto Dix, Max Beckmann, George Grosz auf der deutschen und von Pierre Bonnard, Fernand Léger und Maurice Denis auf der französischen Seite.
Anders als die Bonner Ausstellung „Avantgarden im Kampf“ spricht die Wuppertaler Schau die Besucher emotional an und beschränkt sich auf den Krieg zwischen Deutschland und Frankreich. „Die Menschen sollen von der Wucht der Bilder und Texte getroffen werden und mit dem Vorsatz aus der Ausstellung gehen, alles zu tun, um künftige Kriege zu vermeiden“, sagt Finckh.
So setzt man in Wuppertal auch bedrückende Schwarz-Weiß-Filme aus den Schützengräben und vom Truppenaufmarsch beider Länder wandfüllend ein. Nicht weniger erschütternd ist aber auch die künstlerische Verarbeitung, etwa in einem Gemälde von Gert Wollheim von 1919. Ein Verwundeter mit nacktem Oberkörper und blutender Bauchwunde sinkt im Todeskampf nieder.
Lehmbrucks Skulptur „Der Gestürzte“, Otto Dix' berühmter Radierzyklus „Der Krieg“ oder aber Conrad Felixmüllers Zeichnungen von „Soldaten im Irrenhaus“ zeugen davon, wie sehr der Krieg sich in die Seelen der Künstler einbrannte. Die Deutschen zogen oft freiwillig in den Krieg, die Schlachtfelder aber lagen im Land der damaligen Feinde. Ein ganzer Raum ist der zerstörten Kathedrale von Reims gewidmet, zwölf Trümmersteine stehen wie Mahnmale auf Podesten.
Die französischen Künstler malten häufig oft Szenen hinter der Front. Berührend das gezeichnete Selbstporträt von Jean-Louis Forain: Der verkrüppelte Künstler, dem der rechte Arm fehlt, hält ein Bild in der linken Hand und schaut tieftraurig darauf. Süßlich dagegen ist das romantisierende Bild „Ein ruhiger Abend an der Front“ von Maurice Denis. Umso erschreckender dann sein Doppelbild, das eine Frau mit Kind auf der einen Seite und ein kinderfressendes Schwein („Boche“) mit Pickelhaube auf der anderen Seite zeigt. „Boche“, so nannten die Franzosen die Deutschen.
Anfang und Ende der Schau sind den großartigen Werken des Expressionismus und Kubismus vor dem Krieg und der Neuen Sachlichkeit nach dem Krieg gewidmet. Nichts erinnert mehr an das Grauen der Schlachtfelder, doch die bunte Unbeschwertheit der Vorkriegsjahre ist verloren.