Bonner Uni-Klinik ist seltenen Krankheiten auf der Spur
Wer sich schlecht fühlt, möchte eine Diagnose gestellt haben. Gibt es die nicht, werden Betroffene häufig als Simulanten abgestempelt.
Bonn. Sie haben meist eine Ärzte-Odyssee hinter sich, liefen von Spezialist zu Spezialist — aber niemand konnte eine Diagnose stellen. Dabei geht es nicht um Wehwehchen. Solche Patienten sind wirklich krank, in ihrer Lebensqualität meist eingeschränkt, und sie fühlen sich mit ihrem ungeklärten Leiden alleingelassen. Mitunter müssen sie sich auch noch als Hypochonder, Simulanten oder Sensibelchen abstempeln oder in die Psychoschublade stecken lassen — und das oft über Jahre hinweg.
Wenn es keine Diagnose gebe, könne es sein, dass eine gängige Krankheit oder eine durchaus häufige Erscheinung wie ein Tumor übersehen worden sei, sagt Prof. Thomas Klockgether, Leiter der Klinik für Neurologie an der Universitätsklinik Bonn und Spezialist für seltene Erkrankungen.
Eine andere Möglichkeit sei, dass der Patient vielleicht gar nicht krank sei, sondern eher eine psychische oder psychiatrische Störung vorliege. Schließlich sei auch eine bislang nicht diagnostizierte seltene Krankheit möglich — und genau da will er mit seinem Team helfen.
Im Anfang 2011 eingerichteten Zentrum für seltene Erkrankungen (ZSEB) gibt es seit einigen Wochen eine Anlaufstelle für Fälle mit einer ungeklärten Krankheit. Und schon liegen zu dem Pionierangebot hunderte Anfragen vor. „Die Patienten haben bereits viele Ärzte gesehen“, sagt Prof. Klockgether. „Es ist möglich, dass bei ihnen eine seltene Erkrankung vorliegt, die nicht erkannt wurde.“
Ein Team unter Leitung von Klockgether und Christiane Stieber sichtet am ZSEB jetzt Akten von Patienten mit unklaren Krankheiten. Allein schon dieses intensive Aktenstudium kann ein neues Gesamtbild liefern. Möglichst umfassende Informationen und Berichte über die bisherigen Arztbesuche — in Zusammenarbeit mit den behandelnden Ärzten — müssen vorgelegt werden, damit die Anlaufstelle aktiv wird.
Bei etwa 20 der rund 400 angetragenen Fälle lohne es sich, „in die Tiefe zu gehen“, erklärt Klockgether. Da gebe es zumindest den Verdacht auf eine unerkannte seltene Krankheit. Die meisten Symptome beträfen Magen-Darm, Haut oder Nerven. „Wenn mehrere Organe betroffen sind oder wenn es Symptome gibt, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen, wie Magen-Darm-Probleme bei gleichzeitigen Hautstörungen, da werden wir hellhörig“, erläutert Stieber. „Aber Symptome können auch fehlleiten.“
Schwierig sind die in Bonn gelandeten Fälle allesamt. Ein Patient, Anfang 50, klagt seit etwa fünf Jahren über Drehschwindel und Gangunsicherheit, er ist längst nicht mehr arbeitsfähig. Mehrere Fachärzte, darunter Neurologen, waren ratlos. Alle Standarddiagnosen wurden ausgeschlossen. Für ihn ist das Bonner Zentrum eine Art letzter Instanz für eine ersehnte Klärung.
„Bei Menschen, die an allgemeinem Unwohlsein, an Kopfschmerzen oder Schwindel leiden, ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass sie eine seltene Krankheit haben“, erklärt Klockgether. Dafür müsse es schon klare und ungewöhnliche Symptome geben, wie neurologische Störungen, Muskelschwund, ungewöhnliche Hauterscheinungen oder Kombinationen aus kranken inneren und anderen Organen. Es könne auch eine bislang unbekannte Krankheit sein. „Wir sind in einer Phase, wo wir durch Molekulargenetik viele neue Krankheiten entdecken.“