Boris Becker: 50 und überall zwischendrin
Die Tennislegende Boris Becker feiert runden Geburtstag umringt von finanziellen Problemen.
Es gibt Augenblicke im Leben, an die sich jeder erinnern kann. Wo er sich gerade aufhielt, was er gemacht hat, wie es ihm ging und die Menschen in seiner Umgebung fühlten. Der Sonntag, 7. Juli 1985, gehört in diese Kategorie. Es ist 18.26 Uhr deutscher Zeit, als in Wimbledon beim wichtigsten Tennisturnier der Welt das Unglaubliche Realität wird: Ein rotblonder 17-Jähriger mit Milchbubigesicht aus Leimen bei Heidelberg serviert einen letzten unerreichbaren Aufschlag und hat den Matchball gegen den Südafrikaner Kevin Curren verwandelt. Der jüngste Wimbledonsieger, der erste aus Deutschland, der Hype um den sportlichen Heroen gemacht wird, ist unbeschreiblich, auf der Insel, in Deutschland, weltweit. Wimbledon, 7. Juli, 18.26 Uhr — es ist die Geburtsstunde des Tennisspielers Boris Becker, der zur Legende des Sports werden sollte.
Der eigentliche Boris Becker ist als Sprössling des Architekten Karl-Heinz und dessen Gattin Elvira Becker am 22. November 1967 auf die Welt gekommen. Vor 50 Jahren, er feiert heute einen runden Geburtstag. Grund genug, ihm Glück zu wünschen für die Zukunft, die reichlich Hürden aufzubieten hat.
Eine Londoner Richterin hat den in Wimbledon residierenden Becker in diesem Sommer für bankrott erklärt, die Zeitungen berichteten über angeblich drei Millionen Euro Schulden bei einer Londoner Privatbank. Drei Millionen? In Wirklichkeit soll es viel schlimmer sein, der „Stern“ hat unter Berufung auf den ersten Insolvenzbericht der britischen Schuldenexperten eine Summe von 61 541 520 Euro genannt, die Becker 14 Gläubigern schulde.
Boris Becker hat dementiert. Auf seine Weise, so, wie er es immer hielt — damals auf den Centre Courts der Welt: Bist du in Bedrängnis, hilft nur Angriff. Kein Tennisspieler hat so viele scheinbar verlorene Matches umgebogen wie Becker. In der ARD-Reportage „Boris Becker — der Spieler“, die am Montagabend ausgestrahlt wurde, spricht er von „Rufmord“ und „versuchtem Totschlag“. Es gehe darum, „einen Mann und sein Lebenswerk kaputt zu machen“. Die Filmemacher haben nicht nachgehakt, denn das 90-minütige Werk über ein Jahr an der Seite von BB war als sehr persönliches Porträt angelegt und nicht etwa als kritische Dokumentation. Allerdings hat Becker doch, möglicherweise gar nicht so beabsichtigt, Hinweis darauf gegeben, dass er in enormen Schwierigkeiten steckt. Im englischen Insolvenzrecht gibt es eine ungewöhnliche Eigenart, die schnelle Entschuldung — nach einem Jahr wird ein Schlussstrich gezogen, was bis dahin nicht abgewickelt werden konnte, hat sich erledigt. „Ich wäre ja töricht, würde ich Ihnen meine Strategie erzählen“, sagte er. Aber es gebe eine Chance, „einen Schnitt zu machen und dann steht am 20. Juni 2018 wieder alles auf null“. Vorher hatte er den Journalisten erklärt, er müsse nur durchhalten, so wie früher auf dem Platz: „Ziel ist es, das Spiel zu gewinnen.“
Das ganze Leben ein Spiel. So tickt Becker, deshalb verkennt oder verklärt er oft die Realität. Und daraus speist sich auch die gewachsene Hassliebe zu seinem Heimatland. „Ich war nicht euer Boris, nie“, lautete sein Schlusswort im TV-Film. Er fühlt sich in Deutschland falsch beurteilt, das klingt ein wenig selbstgerecht, aber man muss auch mal festhalten, dass hierzulande die Menschen mehr als anderswo Zynismus in sich tragen, sich mehr als anderswo Spott, Schadenfreude und Neid hingeben. Boris Becker, der Tennisheld? Oder Boris Becker, eine im Leben gescheiterte Existenz? Firmeninsolvenzen, Verurteilung als Steuerhinterzieher, eine gescheiterte Ehe, vier Kinder von drei Frauen, zweifelhafte Autobiografien, dubiose Auftritte in Fernsehshows — Becker hat gewiss zu seiner beschädigten Reputation beigetragen, aber müssen Kübel voll Häme über ihn ausgeschüttet werden wie zuletzt wieder in den (a)sozialen Medien? Auch in England ist die Verwunderung groß über seine vielfältigen Probleme, aber man behandelt Becker trotzdem mit Respekt.
In der TV-Reportage kommen viele Wegbegleiter zu Wort. Von niemandem gibt es ein böses Wort, auch nicht von der betrogenen Ex-Ehefrau Barbara Becker: „Er ist als Charakter wahnsinnig stabil. Er hat bestimmt viele Ecken und Kanten, wie andere Leute auch, aber er ist sehr verlässlich in dem, was er sagt und macht.“
Wir haben damals, am 7. Juli 1985, übrigens vor dem Fernseher mitgefiebert, Erdbeeren gegessen und Bier getrunken. Und waren nach dem Matchball von einem Gefühl grenzenlosen Glücks beschwingt, beseelt, beschwipst. Herzlichen Glückwunsch, Boris Becker!