„Partygate“ und Co. Boris Johnson tritt als Parteichef zurück - der Aufstieg und Fall des Skandal-Politikers

Als Kind wollte Boris Johnson „der König der Welt“ werden, doch eine Rücktrittswelle zwang schließlich auch ihn zum Aufgeben. Wie er es zum Premierminister brachte - und dann abstürzte.

Der britische Premierminister Johnson ist als Chef seiner Konservativen Partei zurückgetreten. Er wolle aber als Regierungschef weitermachen, bis ein Nachfolger gewählt ist.

Foto: dpa/Stefan Rousseau

Als Kind wollte Boris Johnson „der König der Welt“ werden, erzählt seine Schwester. Tatsächlich schaffte es der schlagfertige Wuschelkopf bis zum britischen Premierminister. Trotzig hielt er an diesem Amt fest, als ein Skandal den nächsten jagte. Die Rücktrittswelle in der Regierung zwang schließlich auch ihn zum Aufgeben: Am Donnerstag trat er als Parteichef der konservativen Tories zurück und machte den Weg für die Wahl eines neuen Regierungschefs frei.

Am Ende ging alles ganz schnell: Seit Dienstagabend legten fast 60 Minister und andere Regierungsmitglieder aus Protest gegen Johnson ihr Amt nieder. Aber selbst als ein Mitstreiter nach dem anderen sich von ihm abwandte, klammerte sich der 58-Jährige noch an die Macht. Sie müssten ihre Hände „mit Blut“ besudeln, um ihn aus dem Amt zu drängen, sagte er laut einem Bericht der „Sun“ zu Kabinettsmitgliedern.

Ende 2019 bescherte der charismatische Konservative den Tories einen historischen Sieg bei der Parlamentswahl. Nun wünschten sich laut einer Umfrage von YouGov 69 Prozent der Briten seinen Rücktritt.

Seit Monaten galt Johnson den Kommentatoren bereits als untragbar an der Regierungsspitze. Da war zunächst der Skandal um Spendengelder, die der Premier zum luxuriösen Umbau seiner Dienstwohnung missbrauchte. Dann kam Partygate - illegale Feiern am Regierungssitz während des Corona-Lockdowns. Dennoch überstand der Premier Anfang Juni ein parteiinternes Misstrauensvotum, wenn auch nur knapp. Damit bestätigte sich sein Ruf als „Katze mit sieben Leben“.

Schließlich musste er einräumen, dass er um die Vorwürfe wegen sexueller Übergriffe des Tory-Politikers Chris Pincher wusste, als er diesen beförderte. Damit brachte er die Rücktrittswelle in seiner Regierung ins Rollen.

Lügen schienen für Johnson schon immer ein probates Mittel, um voranzukommen. Einige seiner Lehrer an der Eliteschule Oxford kritisierten bereits Johnsons mangelnde Ernsthaftigkeit und seine Neigung, sich über Regeln zu stellen. Im Debattierclub an der Universität Oxford, wo er griechische und römische Geschichte studierte, fiel er als guter Redner auf, scherte sich aber wenig um Fakten.

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Nach der Uni begann Johnson dank familiärer Beziehungen als Praktikant bei der „Times“. Die Zeitung feuerte ihn allerdings nach einem Jahr, weil er ein Zitat gefälscht hatte. Von 1989 bis 1994 machte sich der Sohn eines EU-Beamten als Brüsseler Korrespondent des „Daily Telegraph“ über die EU lustig - auch damals nahm er es mit der Wahrheit nicht so genau. Verärgerte Kollegen nannten seine schrägen Geschichten „völligen Blödsinn“.

Zurück in London arbeitete er als politischer Kolumnist für den „Telegraph“ und den „Spectator“. Für das Männermagazin „GQ“ testete er auch Autos und kassierte beim Falschparken der Wagen Strafzettel in Höhe von 4000 Pfund (4700 Euro).

Seine politische Karriere begann Johnson 2001 als Abgeordneter. Den Posten als Mitglied eines Schattenkabinetts verlor er aber rasch wieder, weil er über eine außereheliche Affäre gelogen hatte.

Dennoch wurde der gebürtige New Yorker 2008 zum Bürgermeister von London gewählt, gab sich in diesem Amt pro-europäisch und befürwortete Einwanderung. Nach acht Jahren als Stadtoberhaupt kehrte er als Abgeordneter ins Unterhaus zurück und wandelte sich zu einer der wichtigsten Figuren der Brexit-Kampagne. Theresa May machte ihn zum Außenminister, im Juli 2019 löste er sie als Regierungschef ab.

„Johnson ist ein brillanter Künstler, aber ungeeignet für nationale Ämter, da er anscheinend nur an seinem eigenen Vorankommen und seiner persönlichen Befriedigung interessiert ist“, urteilte sein ehemaliger Chef beim „Telegraph“, Max Hastings, über Johnson. Das scheint auch für sein Privatleben zu gelten, in dem er es auf drei Ehen, mehrere Affären und mindestens sieben Kinder gebracht hat.

Drei Jahre lang war Boris Johnson britischer Premierminister - eine Chronologie seiner Amtszeit:

Juli 2019

Nach dem Rücktritt von Theresa May wird Johnson zum Vorsitzenden der konservativen Partei gewählt. Königin Elizabeth II. ernennt ihn zum Premierminister. Johnson verspricht einen raschen Austritt aus der Europäischen Union.

Januar 2020

Johnson gewinnt bei der vorgezogenen Parlamentswahl im Dezember eine historische Mehrheit von 80 Sitzen. Das Parlament verabschiedet das Brexit-Abkommen. Am 31. Januar 2020 dreieinhalb Jahre nach dem Referendum verlässt das Vereinigte Königreich die EU.

März 2020

Um die Corona-Pandemie einzudämmen, verkündet der Premier am 23. März einen landesweiten Lockdown. Wenige Tage später erkrankt Johnson an dem neuartigen Virus und muss auf der Intensivstation behandelt werden.

April 2021

Johnson steht zunehmend wegen seiner Corona-Politik in der Kritik. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, das Parlament wiederholt belogen zu haben. Außerdem wird er beschuldigt, die aufwändige Renovierung seiner Dienstwohnung unrechtmäßig finanziert zu haben.

Dezember 2021

Nach und nach wird bekannt, dass während der Corona-Lockdowns am Regierungssitz immer wieder Partys gefeiert wurden. Die Polizei ermittelt. Johnson wird zu einer Geldstrafe verurteilt - ein Novum für einen amtierenden Premierminister.

Mai 2022

Der „Partygate“-Skandal lässt Johnsons Popularitätswerte einbrechen. Seine konservative Partei verliert bei den Kommunalwahlen deutlich.

Juni 2022

Bei einem Misstrauensvotum sprechen sich mehr als 40 Prozent der Tory-Abgeordneten gegen den Regierungschef aus - zu wenige, um ihn zu stürzen.

Juli 2022

Eine Reihe von Sexskandalen, in die Tory-Abgeordnete verwickelt sind, schwächen den Premier weiter. Ein Abgeordneter wird wegen des Verdachts der Vergewaltigung verhaftet, und ein ehemaliger Parlamentarier im Mai wegen sexuellen Missbrauchs eines Teenagers zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Johnson entschuldigt sich dafür, Chris Pincher zum stellvertretenden Parlamentarischen Geschäftsführer der Tories berufen zu haben - obwohl er von dessen mutmaßlichen sexuellen Übergriffen wusste.

Am 5. Juli legen Finanzminister Rishi Sunak und Gesundheitsminister Sajid Javid aus Protest gegen Johnson ihre Ämter nieder. Dutzende weitere Minister und Regierungsmitarbeiter folgen ihrem Beispiel.

Am 7. Juli erklärt Johnson seinen Rücktritt als Parteichef und macht damit den Weg frei für die Wahl eines neuen Premiers.

(AFP)