Briten halten an „Last Order“ fest
2002 fiel die Sperrstunde — doch in den meisten Pubs lebt sie fort.
London. Wenn in „The Cock’s Tavern“ im Londoner Nordosten die große Schiffsglocke erklingt, kommt Bewegung in die holzgetäfelten vier Wände. In Scharen strömen die Gäste zur Theke, um der Aufforderung Folge zu leisten: „Last Order“. Die Glocke sagt dem Pub-Volk unmissverständlich: „Wer noch ein Bier will, der muss jetzt bestellen.“ In vielen britischen Pubs ist diese alte Regel noch immer Gesetz. Obwohl die Sperrstunde ab 23 Uhr vor genau zehn Jahren abgeschafft wurde.
Die Glocke gehört zu einem britischen Pub nach wie vor wie der Barkeeper hinter dem Tresen und der unvermeidliche Teppichboden davor. Die allerwenigsten der 50 000 Pubs auf der Insel machen von der Möglichkeit Gebrauch, eine Verlängerung der Öffnungszeiten zu beantragen. „Am ehesten die, die in den Innenstädten oder neben Clubs liegen“, sagt David Wilson von der britischen Beer- and Pub-Association. Der Verband kommt ein Jahrzehnt nach dem Fall der Sperrstunde zu einem ernüchternden Ergebnis: Nur 23 Minuten pro Tag hat der Durchschnitts-Pub länger auf.
„Es ist einfach eine Frage der Resonanz“, sagt Wilson. Gerade auf dem Land lohne es für viele „Publicans“, wie die Wirte genannt werden, nicht, länger zu öffnen. Die Menschen seien einfach an die Öffnungszeiten gewöhnt. Schließlich mache man auf der Insel auch selten den unnötigen Umweg vom Büro über zu Hause um ins Gasthaus zu kommen, sondern beginne den Abend unmittelbar nach Dienstschluss. Bisweilen sei der eine oder andere Gast sogar ganz froh, wenn endlich die Glocke ertöne.
Vor zehn Jahren hatte unter anderem eine Diskussion über „Binge-Drinking“ (deutsch: „Koma-Saufen“) die Sperrstunde fallen lassen. Ganze Horden von Kampftrinkern jeden Alters fielen in die Pubs ein und hatten nur ein Ziel: bis 23 Uhr möglichst betrunken zu sein. Die Labour-Regierung wollte mit der Aufhebung dem geneigten Trinker etwas den Zeitdruck nehmen — und damit Horden von Alkohol-Leichen um 23 Uhr auf den Straßen verhindern. Außerdem sollte die Gastronomie gestärkt werden.
Beides misslang. Das Pubsterben in Großbritannien setzt sich fort. In den vergangenen 30 Jahren nahm die Zahl der „Public Houses“, wie Pubs mit voller Bezeichnung heißen, von 69 000 auf jetzt noch 50 000 ab. Die Wirte versuchen, mit Quizabenden, Live-Musik und immer annehmbarerem Essen gegenzusteuern.
Und die Trinker: Während es an den Theken weitaus gesitteter zugeht, findet das Binge-Drinking jetzt auf Plätzen und Bürgersteigen sowie in Wohnungen statt. Das Pint im Pub ist dann der „krönende Abschluss“ der Wochenend-Sauftour.