Bruce wird zu Caitlyn Jenner - na und?

New York (dpa) - „Willkommen in der Welt, Caitlyn. Ich kann es kaum erwarten, dass ihr sie/mich kennenlernt“, heißt es auf einem neuen Twitter-Konto - das schon von zwei Millionen Menschen gelesen wurde.

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So viele Follower in nicht einmal 24 Stunden - das ist Weltrekord und entthront einen gewissen Barack Obama.

Die Autorin war Olympiasieger im Zehnkampf, Star einer Doku-Soap und 65 Jahre lang ein Mann. Jetzt sorgt sie mit einer von Annie Leibovitz fotografierten Hochglanzstrecke in der „Vanity Fair“ und einem Namenswechsel für Aufsehen: Aus Bruce Jenner ist Caitlyn Jenner geworden.

„Ich bin so glücklich, nach einem so langen Ringen mein wahres Ich zu leben“, schreibt Jenner. Im April hatte der Stiefvater von Promisternchen Kim Kardashian öffentlich gemacht, was viele ahnten, dass er künftig als Frau leben wolle. Nun, nach einer zehnstündigen Operation, zeigt sich Jenner mit weißer Korsage, brünetter Mähne und viel Oberweite auf dem Titel des Magazins.

„Vielleicht war ich bei den Olympischen Spielen, weil ich vor einer Menge Dinge weggerannt bin“, sagt die 65-Jährige in einem Video des Journals. „Bruce musste immer eine Lüge erzählen. Er lebte diese Lüge. Caitlyn hat keine Geheimnisse. Sobald das Vanity Fair-Cover draußen ist, bin ich frei.“ Zwar habe sie eine Panikattacke gehabt, als sie ihr weiblicher gewordenes Gesicht nach der Operation das erste Mal sah. Aber sie müsse nicht eines Tages auf dem Sterbebett liegen und sagen: „Du hast dein ganzes Leben verschwendet. Du hast dich nie mit dir selbst auseinandergesetzt.“

Es ist ein Thema, über das noch vor zehn Jahren kaum einer außerhalb der Szene sprach. Mittlerweile diskutieren einige, ob öffentliche Einrichtungen standardmäßig noch eine dritte Toilette haben sollten, für Menschen, die sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen. Kassenschlager wie der Film „Dallas Buyers Club“ (drei Oscars) und das Musical „Hedwig and the Angry Inch“ (vier Tonys) berühren und amüsieren Millionen Menschen. Und die Serie „Transparent“ (Golden Globe) dreht sich um eine Familie, deren Vater plötzlich Maura heißt.

Sind damit Transsexuelle in der Mitte der Gesellschaft angekommen? Zumindest sind sie zu sehen und werden nicht mehr in die Ecke der Freaks und Abartigen gedrängt. Das Gefühl der Befreiung, des Aufatmens, können Nichtbetroffene vermutlich kaum nachvollziehen. Jeffrey Tambor, der Maura in „Transparent“ spielt, versteht Menschen, die zunächst unsicher reagieren, wenn sie davon erfahren, dass Arbeitskollegen, Nachbarn oder sogar Ehepartner das Geschlecht wechseln. „Aber die entscheidende Frage ist doch“, sagte der 70-Jährige der dpa: „Sind wir noch eine Familie, auch wenn ich mich verändert habe? Liebt ihr mich trotzdem noch?“

Eine Diskussion haben weder „Transparent“ noch Jenner in den USA verursacht, denn dafür fehlt die Gegenseite. Kein Prominenter würde es wagen, ein kritisches Wort zu verlieren, will er nicht einen Sturm bei Twitter und Facebook riskieren. Stars wie Lady Gaga sind plötzlich begeistert von einer Frau, die sie als Mann kaum zur Kenntnis genommen haben. Jenner betont, sie habe das alles nicht für die Schlagzeilen gemacht - oder die neue Doku-Soap, die in wenigen Wochen anläuft. „Ich tue das nicht, um mich interessant zu machen. Ich tue das, um zu leben.“

Dass man sich erst daran gewöhnen muss, wenn er plötzlich sie ist, kann man niemanden übelnehmen. Auch nicht Jenner selbst. Vor kurzem habe sie sich gewohnheitsmäßig mit „Hi, ich bin Bruce“ vorgestellt und dann gedacht: „Es ist nicht Bruce, ich hab's vermasselt.“ Eines interessiere sie aber doch, sagt Jenner der „Vanity Fair“: „Ich möchte schon wissen, ob ich einen Golfball noch 300 Yards abschlagen kann, auch mit meinen üppigen Brüsten im Weg.“