Borussia Dortmund BVB-Anschlag: Angeklagter schweigt vorerst
Sergej W. soll im April einen Sprengstoffanschlag auf den Teambus verübt haben. Sein Anwalt setzt zum Prozessauftakt auf Provokation.
Dortmund. Während ein Justizwachtmeister ihn energisch zur Anklagebank bugsiert, blickt sich Sergej W. schüchtern in Saal 130 des Dortmunder Landgerichts um. Unzählige Kameraobjektive sind auf ihn gerichtet und scheinen ihn fast zu erdrücken. Klein ist der 28-Jährige, schmal und blass. Sein Seitenscheitel klebt förmlich an seinem Kopf. Am 11. April dieses Jahres soll der Angeklagte versucht haben, mit drei selbst gebauten Splitterbomben die Mannschaft des Fußballvereins Borussia Dortmund zu töten. Äußern will er sich dazu am Donnerstag am ersten Verhandlungstag in Dortmund noch nicht.
Stattdessen reden Verteidiger Carl Heydenreich und Oberstaatsanwalt Carsten Dombert. Noch bevor die Anklageschrift verlesen wird, liefern sie sich einen heftigen Schlagabtausch mit gegenseitigen schweren Anschuldigungen. Heydenreich wirft Dombert einseitige Ermittlungen und eine „beispiellose Verleumdungs- und Vorverurteilungskampagne“ vor. Der Oberstaatsanwalt habe die Weitergabe von Akteninterna an die Medien zu verantworten und solle daher am besten aus dem Verfahren geworfen werden.
Dombert hält dagegen: „Ich fühle mich nicht befangen“, sagt er bissig. Die „Stimmungsmache“ gegen seine Person sei unseriös. Und ironisch fügt er hinzu: „Ich kann aber die Verärgerung der Verteidigung verstehen. Darüber, dass die Beweislage gegen den Angeklagten so erdrückend ist.“ Richter Peter Windgätter beendet das Scharmützel schließlich kurz und knapp: „Ich habe nicht die Kompetenz, dem Leitenden Oberstaatsanwalt vorzuschreiben, wen er als Sitzungsvertreter hierher schickt.“ Dombert darf also bleiben.
Was der Oberstaatsanwalt in den folgenden Minuten vorträgt, ist eine Geschichte von Geld, Gier und einem jungen Mann, der für sein Streben nach Reichtum angeblich bereit war, sprichwörtlich über Leichen zu gehen. Laut Anklage zündete Sergej W. am 11. April drei in einer Hecke versteckte Sprengsätze, als der mit 27 Personen besetzte Mannschaftsbus des BVB gerade am Teamhotel zum Champions-League-Heimspiel gegen AS Monaco abgefahren war.
In den Tagen zuvor soll der 28-Jährige Deutsche mit russischen Wurzeln, der zuletzt in Rottenburg am Neckar wohnte, für über 26 000 Euro Optionsscheine und Kontrakte erworben haben, mit denen er auf einen fallenden Kurs der BVB-Aktie wettete. Wäre das Papier auf einen Wert von einem Euro gerutscht, hätte sein Gewinn mehr als eine halbe Million Euro betragen, heißt es in der Anklageschrift.
Die Wucht der Detonation am Mannschaftshotel erschütterte den ländlichen Dortmunder Süden. Metallstifte flogen umher und beschädigten Häuser, Autos und vor allem den Mannschaftsbus. Im Inneren brachen Splitter Dortmunds Abwehrspieler Marc Bartra den Unterarm. Ein Polizist, der den Tross auf einem Motorrad zum bereits vollen Stadion begleiten sollte, erlitt ein Knalltrauma.
Dem ersten Verhandlungstag bleiben alle Spieler und Mitarbeiter von Borussia Dortmund fern. Überraschend kommen auch so gut wie keine Zuschauer ins Gericht. Gerade mal eine Handvoll Fans des BVB sitzen auf den Bänken. Einer von ihnen ist Murat Cam. Der 44-Jährige sagt: „Ich kriege jetzt noch Gänsehaut, wenn ich daran denke.“
Auch der verletzte Polizeibeamte lässt sich den Prozessauftakt nicht entgehen. „Er will dem Angeklagten in die Augen sehen“, sagt sein Rechtsanwalt Boris Strube. Der Polizist sei aktuell wegen psychischer Probleme wieder krank geschrieben. Zuletzt habe er noch einmal einen Versuch unternommen, in den Beruf zurückzukehren. „Aber er schafft es wohl nicht mehr“, sagt der Anwalt.
Borussia Dortmund hat Rechtsanwalt Alfons Becker alle Mandate übertragen. Im Namen Marc Bartras stellt er in der Verhandlung einen Antrag auf Zahlung von mindestens 15 000 Euro Schmerzensgeld.
Für Verteidiger Carl Heydenreich ist der Fall dagegen längst nicht so eindeutig. Rein vorsorglich und ohne damit ausdrücken zu wollen, dass tatsächlich Sergej W. die Bomben gezündet hat, hält er vor allem den Vorwurf des 28-fachen Mordversuchs für nicht haltbar. „Wir müssen davon ausgehen, dass Hunderte Metallstifte in den Bomben waren“, sagt Heydenreich. Aber nur zwei seien in das Fahrzeug eingedrungen. Da liege es doch nahe, dass der Täter nur drohen, nur täuschen und Angst machen wollte. Aber niemanden wirklich töten.