Kriminalität Call-Center und Rabattsysteme: Drogenhandel im Netz wird professionell
Fürth · Der Handel mit Drogen wandert - von den Bahnhofsvorplätzen in den virtuellen Raum. Die Dealer werden professioneller und sind extrem kundenfreundlich, berichten Ermittler. Der Markt wird größer - und die Polizei muss sich darauf einstellen.
Berufsbilder ändern sich im Internet-Zeitalter rasend schnell. Der Drogendealer ist keine Ausnahme. Stand er vor ein paar Jahren noch langhaarig in Bahnhofshallen, agiert er schon heute zunehmend behende im Netz. Einzelne Rauschgifthändler arbeiten sogar mit richtigen Arbeitsverträgen. „Ob sie es glauben oder nicht: Wir haben bei der Durchsuchung tatsächlich einen Arbeitsvertrag mit einem garantierten Urlaubsanspruch gefunden“, berichtet Jörg Beyser, Leiter des Drogendezernats beim Landeskriminalamt in Bayern und damit oberster Drogenfahnder im Freistaat.
Mit Kollegen aus 22 Ländern hat er sich im fränkischen Fürth über die internationale Polizei-Zusammenarbeit in einem rasch wachsenden Delikt-Spektrum ausgetauscht. Ihre Kenntnisse über Mengen und Märkte beruhen naturgemäß vor allem auf Schätzungen - aber diese sind alarmierend. „Der Drogenmarkt wächst im Jahr um sechs bis sieben Prozent“, sagt Thomas Pietschmann, Mitautor des UN-Weltdrogenberichtes. „Der Markt im Darknet wächst um 50 Prozent pro Jahr.“ Das Darknet ist der Teil des Internets, der etwa in Suchmaschinen nicht auftaucht und der häufig für illegale Geschäfte genutzt wird.
Auch wenn der stationäre Drogenhandel derzeit noch größer ist und der Internethandel noch als Ergänzung gesehen wird: Ginge es nicht um kriminelle Machenschaften, oft genug sogar um Leben und Tod der Abnehmer, könnten die Drogen-Firmen durchaus als vorbildliche Online-Händler durchgehen. „Der Kundenservice ist hervorragend“, sagt Beyser.
Sie verfügen über Call-Center und Rabattsysteme, schicken bei Verlust auf dem Postweg anstandslos Ersatz, betreiben Beschwerdehotlines, engagieren Kuriere und Finanzmanager für die Abwicklung des Geldverkehrs. Und sie liefern - zumindest im Sinne der Szene - immer häufiger Top-Qualität, sprich: hohe Wirkstoffkonzentration mit entsprechendem Rauschpotenzial. „Die Bewertungen sind das A und O für denjenigen, der den Web-Shop betreibt“, betont Beyser. Wer von den Kunden weiterempfohlen wird, gilt in dem sensiblen Feld der Drogenkriminalität als verlässlich.
Irgendwo in dem weit verzweigten System von Produktion, Weiterverarbeitung, Verpackung und Versand der illegalen Ware gibt es Schnittstellen zwischen virtueller und realer Welt. „Dort greifen wir an“, sagt Beyser. Wenn Händler etwa virtuelle Währungen in echtes Geld tauschen müssen. Oder wenn die im Netz bestellte Ware tatsächlich in einen Postkarton wandert und sich auf den Weg zum Abnehmer macht.
„Hier sind auch die Postdienste gefragt“, betont Daniel Lichtenegger, beim österreichischen Bundeskriminalamt für Rauschgiftbekämpfung zuständig. Die Paketdienste müssten genauer darauf schauen, was sie zustellen. Das ist auch ein Punkt an dem die deutsche Politik ansetzt. Ein Gesetzentwurf, der deutlich härter gegen Darknet-Marktplätze vorgeht und auch die Postdienstleister zur Auskunft zwingen soll, hat bereits den Bundesrat passiert. Im Bundestag ist der Entwurf aber noch lange nicht durch. Medienberichten zufolge öffnet die Deutsche Post jährlich illegale Sendungen in großem Umfang - darf aber wegen des Postgeheimnisses die Erkenntnisse nicht an die Polizei weiterreichen.
Die Drogenkriminalität richtet einen enormen volkswirtschaftlichen Schaden in aller Welt an. Allein der Umsatz mit Rauschgiften aller Art geht in die Milliarden. Die Kosten für die Polizeiarbeit, die Justiz, die Prävention, die Behandlung von Abhängigen, die Versorgung von arbeitslos gewordenen oder Berufsunfähigen - all das muss die Allgemeinheit stemmen und ist da noch nicht mitgerechnet.
Die Drahtzieher brauchen dagegen keine finanziellen Unterstützer. 60 000 Euro pro Monat soll zum Beispiel ein Drogendealer verprasst haben, der im großen Stil mit NPS-Drogen - sogenannten „legalen“ Rauschmitteln - gehandelt hat. Diese werden allerdings von der Polizei als hochgefährlich und häufig tödlich eingestuft. 87 Kilogramm NPS - „Neue psychoaktive Stoffe“ - trugen die Ermittler zusammen, den Verkauf von 1,2 Tonnen, verbunden mit einem Millionenumsatz, konnten sie nachweisen. Der 32 Jahre alte Wahl-Münchner gab bei seinem Prozess am Landgericht Ansbach an, er habe die von ihm selbst verhökerten Substanzen nicht angerührt. „Viel zu gefährlich“, räumte er ein, wegen der Schwankungsbreite bei der Wirkstoffkonzentration.
Die Drogenproblematik in Europa wird - so hat es den Anschein - trotz der Anstrengungen der Fahnder eher größer als kleiner. Kokain erlebt einen Boom, wie der jüngste Drogenbericht der EU ausweist. Auch der Weltmaßstab gibt Grund zur Sorge. 2018 sind mehr als eine halbe Million Menschen am Drogenkonsum und dessen Folgen gestorben, wie der Welt-Drogenbericht der Vereinten Nationen aussagt.
Die Ursprungs-Substanzen kommen aus weiter Ferne. Afghanistan ist weiter das Hauptproduktionsland für Opium, das auf dem Transportweg nach Europa häufig in der Türkei oder im Iran zu Heroin raffiniert wird, wie UN-Drogenexperte Pietschmann sagt. Die Produktionsmengen sind auf Rekordniveau und nehmen weiter zu, die Preise fallen, die Märkte werden überschwemmt. Die Vertriebsorganisation übernehmen oft Albaner, die Großhändler operieren von Holland aus.
„Das einzige was man jetzt machen kann, ist diesen Angebotsschock, der jetzt kommt, ein bisschen zu reduzieren“, sagt Pietschmann. Derzeit nehmen die Behörden bei Opiaten geschätzt etwa jedes dritte Kilogramm aus dem Markt - eine Verdreifachung der Sicherstellungsquote im Vergleich zu vor 20 Jahren. „Das ist die Polizeiarbeit, die sich verbessert hat“, betont der Experte.