Chanel beschwört das Herz von Paris
Paris (dpa) - Chanel stößt bei den Haute-Couture-Schauen sogar Napoleon von seiner Säule. Cocos Geist schwebt über den Entwürfen. Doch nicht nur Lagerfeld und seine Modekunst begeistern - auch Vauthier und Rolland.
Eine Liebeserklärung an Paris, seine Pracht und seine Plätze und nicht zuletzt an die große Coco Chanel inszenierte Karl Lagerfeld in großartigem Ambiente. „Warte, bis es dunkel wird“, schien über seiner Haute-Couture-Schau für das Haus Chanel in Paris für Herbst/Winter 2011/12 zu stehen - sie startete erst gegen 22.30 Uhr.
Doch dafür kam unter der nachtdunklen Glaskuppel des Grand Palais der künstliche Sternenhimmel, der Glitzerboden, der regennassem Asphalt nachempfunden war, und die ganze Kulisse, die der Place Vendôme nachempfunden war, umso besser zur Geltung. Auch die zentrale Vendôme-Säule war zu sehen. Doch statt Napoleon - wie im Original - thronte Mademoiselle Chanel als Figur auf deren Spitze.
Der unter Ludwig XIV. angelegte Vendôme-Platz gilt als das Herz der Pariser Luxuswelt. Nur wenig mehr als einen Steinwurf entfernt, liegt die von Coco Chanel (1883-1971) einst zu ihrem Hauptquartier erhobene Rue Cambon.
Wie stark die Chanel das modische Empfinden der Moderne geprägt hat, demonstrierte Lagerfeld eindrucksvoll. Die Mannequins traten im Stil der Modemacherin selbst auf - mit dem typischen kleinen runden Hut ihrer späten Jahre, dem Tweedkostüm mit fransenbesetzten Rändern, dem schlichten Jerseykleid für den Abend. Aber auch die Mode aus Chanels Anfängen wurde zitiert: Godetröcke und Jacken mit Ballonrücken im Stil des beginnenden 20. Jahrhunderts.
Natürlich wirkte das Ganze trotzdem jung und modern - Lagerfeld ist kein Designer, der wehmütig zurückblickt. Ungewöhnliche Mélange-Strukturen in Grau bei den Stoffen, weiche Materialien, zerzaust wirkende Federbesätze, Transparenz-Effekte und lässig wirkende Rüschen und Plissierungen trugen dazu bei. Auch die glitzernden halbhohen Stiefel aus Nylon oder handschuhweichem Leder. Neben Schwarz, Grau und Weiß gab es leuchtende Pink-Töne. Aufgestickte Kristalle oder feine Knopfreihen im Rücken ließen die Couture-Entwürfe kostbar erscheinen. „Chanel ist keine Mode, Chanel ist ein Stil“ lautet ein Bonmot von Coco - die Schau lieferte den Beweis dafür.
Auch wenn die Location der Schau von Alexandre Vauthier - eine alte Bibliothek - ungleich zurückgenommener wirkte als bei Chanel: Verstecken musste sich der Designer nicht. Ganz in Rot traten die Entwürfe auf den Laufsteg: ob in leuchtendem Signalrot, Blutrot oder einem matten Bordeauxton. Scharf geschnittene schmale Entwürfe und kühn gerundetes Volumen erinnerten an die 80er-Jahre-Mode von Thierry Mugler. Fließende Stoffe und Drapierungen setzten einen Kontrast. Vauthier spielte zudem geschickt mit dem Gegensatz von Sexyness und Zurückhaltung: etwa durch die hohen Schlitze im Vorderteil langer Röcke oder einen zarten Schleier, der sich als offenherziges Kapuzentop entpuppte.
Stéphane Rolland arbeitete in seiner Schau mit Raffungen und Drapierungen, die bei aller Stofffülle dennoch die Figur betonten. Lange Abendkleider in feiner Seide in Smaragdgrün, Knallgelb oder leuchtenden Rotviolett-Nuancen umwehten die Models. Die Braut am Schluss trat in einem atemberaubend schönen Mantel aus kunstvoll geknüpfter Wolle auf.