Impfungen, Lockerungen und Co. Warum der Kampf gegen die Delta-Variante so schwierig ist

Paris · Deutschlands Corona-Inzidenzwerte sinken seit Wochen, mittlerweile sind sie einstellig. Trotzdem sagen Experten einen schwierigen Wettlauf zwischen Impfungen und der Ausbreitung der Delta-Variante voraus.

Impfungen schützen auch gegen die Delta-Variante. Allerdings ist der Schutz erst nach der zweiten Dosis zuverlässig.

Foto: dpa/Moritz Frankenberg

Deutschlands Corona-Inzidenzwerte sinken seit Wochen, mittlerweile sind sie einstellig. Doch die besonders ansteckende Delta-Variante des Coronavirus wirft einen Schatten auf Deutschland und sogar auf Länder, in denen noch deutlich mehr Menschen geimpft sind als hierzulande. Experten sehen die Immunisierungskampagnen in einem schwierigen Wettlauf mit der Ausbreitung der Delta-Variante.

Global betrachtet schwächt sich die Pandemie weiter ab. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) meldet die niedrigsten Fallzahlen weltweit seit Februar und einen Rückgang der täglichen Corona-Toten. Wegen der Delta-Variante werden nun aber auch wieder Restriktionen in Ländern verhängt, die das Virus zuvor weitgehend unter Kontrolle hatten.

"Weltweit ist die Sorge wegen der Delta-Variante derzeit groß und die WHO ist auch besorgt", sagte ihr Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus am Freitag. Schließlich sei Delta die bislang ansteckendste Coronavirus-Variante und bereits in 85 Ländern nachgewiesen worden. "Während einige Länder die gesundheitlichen und sozialen Schutzmaßnahmen lockern, beginnen wir, Zunahmen bei den Ansteckungen in aller Welt festzustellen."

Die Fallzahlen steigen etwa in Russland, Australien, Israel und in Teilen Afrikas. Einige Länder fürchten, dass es ihnen bald ebenso geht.

Die Delta-Variante wurde zuerst in Indien festgestellt, wo sie seit etwa April grassiert. Es wird davon ausgegangen, dass sie etwa 40 bis 60 Prozent ansteckender ist als die ältere Alpha-Variante - die schon ansteckender als der Virusstamm ist, der für die erste Corona-Welle verantwortlich war.

Delta-Variante in Europa: Virusmutation nimmt auch in Deutschland weiter zu

In Europa fasste Delta zuerst in Großbritannien Fuß, mittlerweile sind dort 95 Prozent aller Neuansteckungen auf diese Variante zurückzuführen. Die für den 21. Juni geplante Aufhebung fast aller Corona-Restriktionen in England verschob die Regierung in London nicht zuletzt wegen Delta.

In Deutschland lag der Delta-Anteil laut neuesten Zahlen Mitte Juni noch bei lediglich gut 15 Prozent - allerdings hatte sich ihr Anteil an den Corona-Neuinfektionen im Vergleich zur Vorwoche fast verdoppelt. Und die Reisesaison dürfte diese Entwicklung noch beschleunigen.

In Portugal liegt der Delta-Anteil mittlerweile bei mehr als 50 Prozent aller Neuinfektionen - im Großraum Lissabon sind es sogar mehr als 70 Prozent. Nach Schätzungen der EU-Krankheitsbekämpfungsbehörde ECDC könnte die Delta-Variante in der EU bis Anfang August für 70 Prozent der Corona-Neuinfektionen verantwortlich sein und bis Ende August sogar für 90 Prozent.

Mindestens zwei Impfungen als Schutz gegen Delta nötig

Einigen Studien zufolge ist die Wirksamkeit der Impfungen gegen die Delta-Variante leicht geringer als bei früheren Varianten, aber sie helfen - allerdings nur nach der zweiten Dosis. Jüngste Daten der britischen Regierung zeigen, dass zwei Impfspritzen bei Delta einen 96-prozentigen Schutz gegen eine Krankenhauseinlieferung wegen Covid-19 und einen 79-prozentigen Schutz gegen eine symptomatische Infektion bieten. Nach nur einer Impfspritze liegt der Schutz allerdings nur bei 35 Prozent.

Da Delta so ansteckend ist, sind einige Experten der Überzeugung, dass 80 Prozent einer Bevölkerung vollständig geimpft sein müssen, um die Pandemie einzudämmen. Selbst für Länder mit einer guten Impfkampagne ist das eine sehr hohe Zielvorgabe.

Für Afrika scheint sie in absehbarer Zeit unerreichbar. Derzeit hat dort gerade mal ein Prozent der Bevölkerung den vollen Impfschutz - während die Delta-Variante bereits in 14 afrikanischen Ländern nachgewiesen wurde.

Weiter erschwert wird der Kampf gegen Delta dadurch, dass eine frühere Corona-Infektion anscheinend keinen Schutz gegen diese Virus-Variante bietet. "Wir können uns nicht mehr auf eine natürliche Immunität verlassen", sagt der auf die Modellierung von Infektionskrankheiten spezialisierte Biologe Samuel Alizon.

Weitere Corona-Restriktionen scheinen unausweichlich. Die ECDC warnt, jede weitere Lockerung von Corona-Restriktionen habe einen Anstieg der Fallzahlen in allen Altersgruppen zur Folge. Manche Länder wie Israel ziehen bereits die Reißleine. Die Wiedereinführung der Maskenpflicht in Innenräumen begründete Israels Regierungschef Naftali Bennett mit folgendem Bild: Seine Regierung habe entschieden, gegen die Delta-Variante "einen Eimer Wasser zu nehmen und ihn auf das Feuer zu kippen, solange es noch klein ist."

yb/mkü

(AFP)