Das Comeback: Heroin hat die USA wieder im Griff
Washington (dpa) - Ein junger Mann spritzt sich Heroin, mitten im Berufsverkehr, in der US-Großstadt Philadelphia. Dass er dabei gefilmt wird, scheint ihn nicht zu interessieren. Das Handy-Video des Vorfalls kursiert im Internet, fast 120 000 Menschen haben es angeschaut.
Heroin ist zurück in den USA, mitten in den Städten. Etwa 290 000 Abhängige soll es heute landesweit geben, fast 80 Prozent mehr als 2007. Andere Drogen wie etwa Kokain sind zwar weiter verbreitet. Doch Heroin ist gefährlicher als viele andere Betäubungsmittel. Aktuell sterben pro Tag 125 Menschen in den USA durch illegale Drogen, 78 davon durch Heroin und andere Opioide, wie aus der Statistik der Gesundheitsbehörde CDC (Centers for Disease Control and Prevention) hervorgeht. Aufs Jahr gerechnet waren es 2014 knapp 29 000 Tote.
In Deutschland gab es unter 500 Heroinopfer, wie die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler, in ihrer Jahresstatistik mitteilte. Zwar leben in den USA fast viermal so viele Menschen wie in Deutschland, die Todeszahlen sind in den Vereinigten Staaten aber fast 60 Mal so hoch.
Warum feiert Heroin ein Comeback in den USA? „Die aktuelle Epidemie entstand vor allem aus Schmerzmittelverschreibungen“, erklärt David Rosenbloom von der medizinischen Fakultät der Universität Boston: „Bis zu 80 Prozent der Menschen, die heute Opioide missbrauchen, haben vorher Schmerzmittel verschrieben bekommen.“
Seit den 1990er Jahren verschreiben Ärzte in den USA mehr starke Schmerzmittel wie Oxycontin oder Vicodin. Die Wirkstoffe in diesen Medikamenten ähneln Heroin. „Irgendwann wechseln die Leute zu Heroin, weil es billiger und leichter zu bekommen ist“, erklärt Rosenbloom.
Robert DuPont, Gründer des Nationalen Instituts für Drogenmissbrauch, hält diese These für falsch. „Viele haben bereits Erfahrungen mit Drogen gemacht, bevor sie Schmerzmittel konsumieren“, sagt er. Die Hauptursache sei die einfache Verfügbarkeit von Heroin. Früher hätten Käufer in unsichere Stadtviertel gehen müssen, um die Droge zu bekommen. „Heute kommt das Heroin zu ihnen“, erklärte DuPont unlängst auf einer Veranstaltung der Drug Enforcement Agency (DEA). Es gebe sogar eine Art illegalen Lieferservice frei Haus.
Es ist nicht das erste Mal, dass Heroin die USA überschwemmt. Bereits in den 1970er Jahren rollte die Droge über das Land. Rockmusiker wie die Rolling Stones und Black Sabbath besangen sie, die Punklegenden Dee Dee Ramone und Sid Vicious brachte das Rauschgift um.
Die Meinung der Öffentlichkeit damals war klar: Drogenmissbrauch war kriminell. Diese Meinung wurde in Gesetze umgewandelt. 1973 setzte der damalige Gouverneur von New York, Nelson Rockefeller, durch, dass der Besitz von vier Unzen (etwa 114 Gramm) Heroin mit mindestens 15 Jahren Gefängnis bestraft wurde.
Unter Federführung der DEA bekämpften die USA ab Mitte der 1970er Jahre massiv die Händler und Hersteller der Drogen. Sie zerstörten Mohnfelder in Mexiko und nahmen Hunderte Drogendealer in US-Städten fest. Die Zahl der durch Heroin verursachten tödlichen Überdosen sank von 2000 im Jahr 1975 auf 800 im Jahr 1980.
Auf die heutige Heroinepidemie reagieren die US-Behörden anders. Strafverfolgung ist nicht mehr der wichtigste Teil der Strategie, stattdessen setzt man auf Prävention und Therapie, um die Zahl der Süchtigen zu senken. Präsident Barack Obama nannte die USA ein „Land der zweiten Chancen“, auch für Drogenabhängige.
Der Senat verabschiedete Anfang März ein Gesetz zur Bekämpfung der Heroinepidemie, das finanzielle Hilfen zur Therapie und Resozialisierung von Süchtigen bereitstellen soll. Das Thema ist eines der wenigen, bei dem die tief zerstrittenen Parteien im US-Kongress zusammenarbeiten. Und unabhängig von der Bundesregierung gibt es viele lokale und regionale Initiativen, die Hilfe für Drogensüchtige anbieten, zum Beispiel Methadon-Programme oder die Bereitstellung sauberer Injektionsnadeln.
Robert DuPont, der mit seinem Institut bereits in den 1970ern Heroinmissbrauch bekämpfte, hält die Fokussierung auf Therapie für gefährlich. Diese Programme würden nur kurzfristig helfen. „Die Veränderungen am Gehirn des Süchtigen bleiben aber“, sagt er. Man müsse stattdessen den Drogenmissbrauch selbst stärker bekämpfen. Der einfache Zugang und die Akzeptanz von Drogenkonsum in der Freizeit müssten gestoppt werden, erklärt der 80-Jährige und warnt: „Wir können uns nicht aus dieser Krise heraustherapieren“.
Mit seiner Meinung steht DuPont in der heutigen Debatte weitgehend allein dar. Gesetzgeber und Verwaltung wollen weiterhin andere Schwerpunkte setzen. Die CDC gaben Anfang März neue Richtlinien bekannt, die Ärzte daran hindern sollen, große Mengen Schmerzmittel zu verschreiben, mehr Medikamente sollen Warnhinweise tragen. Und Präsident Obama plant, mehr als eine Milliarde Dollar zusätzlich für Therapieangebote bereitzustellen.
Ein schnelles Ende der Epidemie erwartet niemand. „Bisher konnten wir noch keinen Rückgang beobachten“, sagte CDC-Direktor Tom Frieden auf einer Pressekonferenz des Weißen Hauses.