Das große Graben im Schuttberg von Köln

Köln. Ausgerechnet die Tageszeitung von vor wenigen Wochen ist unversehrt geblieben. Sie liegt gut sichtbar oben auf dem Schutthaufen. Sonst ist wenig heil geblieben. Ein Gemenge aus Papierfetzen, Erde, Beton, Metall- und Stahlteilen füllt die Halle in Köln aus, wo der Schutt des eingestürzten Stadtarchivs nach Kostbarkeiten durchsucht wird.

Mitten im Chaos sind Bauarbeiter mit Schaufeln unterwegs und betreiben Mülltrennung der etwas anderen Art: Schutt auf die eine Seite und auf die andere Archivalien und private Gegenstände aus den beiden Wohnhäusern, die mit dem Archiv zusammengebrochen sind. Immer noch kommen hier jeden Tag acht bis zehn Lkw-Ladungen Trümmer an, erklärt ein Mann von der Aufsicht.

Er muss ziemlich schreien - der Lärm der Baufahrzeuge, vermischt mit dem unaufhörlichen Kratzen der Schaufeln, ist ohrenbetäubend. In der ersten Woche, erzählt der Mann weiter, sei hier ein dickes Buch auf Latein gefunden worden. "Da haben die Archivare mich auch umarmt und sich mit mir gefreut."

Jörg Tong hat an diesem Tag schon zweieinhalb Stunden Schuttschippen hinter sich und wirkt erschöpft. Die Arbeit in der Halle ist für den 43-Jährigen und seine Kollegen nicht nur ein Job. "90 Prozent der Leute machen das hier, weil sie helfen wollen".

Tong berührt es besonders, wenn bei der Suche etwas aus einem der beiden Wohnhäuser auftaucht. "Da kriegt jemand ein Stück von seinem Zuhause zurück." Mit in den Feierabend nimmt er die Schicksale der Betroffenen nicht. Nur während der Arbeit, "da kommen schon Gedanken, dass da letztendlich auch mal Menschen drin gewohnt haben".

Alles, was mindestens handtellergroß und aus Papier ist oder "irgendwie nach Wert aussieht", kommt in blaue Plastikwannen, die überall in der Halle herumstehen. Eine von ihnen fasst etwa 80 Liter, so viel wie zwei Wäschekörbe. Ungefähr zehn dieser Wannen werden täglich gefüllt. Verschwindend wenig, stellt man sich daneben die acht bis zehn LKW-Ladungen Schutt vor.

Das was da in den Wannen landet, könnte man am ehesten mit einem Papier-Frikassee vergleichen. Kaum zu glauben, dass daraus der Archivbestand wiederhergestellt werden soll. Mitten im Gespräch schickt die Aufsicht Tong aus der Halle. Wegen der hohen Staubbelastung muss jeder der Helfer einmal pro Stunde für zehn Minuten an die frische Luft. Während der Arbeit ist ein Mundschutz vorgeschrieben. "Der würde auch für Asbest ausreichen", glaubt Tong.

Max Plassmann beobachtet das Treiben vom Rande aus. Der Archivar hatte seine Arbeit beim Stadtarchiv erst zwei Wochen vor der Katastrophe begonnen. Für Plassmann steht die Rettung der Bestände im Vordergrund. Emotional wird es für ihn "immer dann, wenn verloren geglaubte Archivalien geborgen werden". In die Trümmerhalle fährt er jedoch nur, wenn zum Beispiel etwas besonders Altes auftaucht. Das kommt etwa einmal am Tag vor. "Aber ich freu' mich über alles, was kommt", sagt Plassmann.

Aufgabe der Archivare ist es auch, den Inhalt der blauen Wannen zu sortieren. Für die Sicherung der geretteten Archivalien gibt es zwei Methoden: Feuchtes Papier wird so schnell wie möglich eingefroren und anschließend gefriergetrocknet, trockene Fundstücke werden nur grob gereinigt. Das Material wird danach in anderen Archiven der Region zwischengelagert und dort restauriert.

Zeit, um wütend zu sein oder über die Schuldfrage nachzugrübeln, hat Plassmann nicht. Er versucht, die Katastrophe von dem, was hier in der Halle gemacht wird, zu trennen. Man hat schließlich einen Job zu erledigen. "Das ist erstmal wichtiger", findet der Archivar. Inzwischen konnten mehr als 2 der 26 vom Einsturz betroffenen Regalkilometer des Archivs gerettet werden. "Das ist mehr als anfangs befürchtet", sagt Plassmann.

Wie hoch die Chancen stehen, das Archiv weitestgehend wiederherzustellen, kann er nicht sagen. Unter den Kollegen, beteuert er, siege bislang der Eifer über die Erschütterung. "Wir gucken positiv in die Zukunft, weil wir so viel retten können. Das überwiegt im Moment". Doch während er das sagt, blickt der Archivar eher etwas verloren drein.