Das kann Couture! Chanel und Dior schweben davon
Paris (dpa) - Die Couture hebt ab. Mit einer beeindruckenden Kollektion für Chanel katapultierte Karl Lagerfeld die „Hohe Schneiderkunst“ am Dienstag (24. Januar) in Paris in die Lüfte. Bezaubernde Entwürfe zeigte aber auch Dior.
Die ganze Exzellenz der Hohen Schneiderkunst offenbart sich bei der Pariser Couture. Lagerfeld verleiht ihr sogar Flügel. Bei der Schau im Grand Palais war das Innere eines Flugzeugs errichtet worden. Durch eine Art Gangway gelangten die Besucher zu ihren „Airline-Sitzen“; wenig später wurden die auf Flügen üblichen Getränkewagen an ihnen vorbei gerollt. In die Blautöne von Stewardessenuniformen gewandet, schritten die Models dann durch den Mittelgang.
Lagerfeld zeigte über 60 Entwürfe und griff dabei Schnittformen der 50er- und 60er-Jahre auf mit feinen Etuikleidern mit lockerem U-Boot-Kragen und schön gesetzten vertikalen Passen sowie oval geformten Bolero-Jacken, die er zu langen Mousseline-Röcken kombinierte. Ging es bei diesen tagestauglichen Entwürfen noch relativ schlicht zu, so prunkten die auf Figur geschnittenen Cocktail- und Abendkleider mit kostbaren Stickereien, Pailletten-Mosaiken und glitzernden Kristallen. Das Ganze wirkte dennoch modern und jung, da Lagerfeld bei seiner gedeckten Blaupalette blieb und mit futuristisch wirkenden Stoffbeschichtungen und beinahe aerodynamischen Schnitten arbeitete.
Was kann Couture, was andere nicht können? Lagerfeld scheint dies mustergültig beantwortet zu haben. Die Frage hatte sich wohl auch Designer Bill Gaytten gestellt. Er hat die eher undankbare Aufgabe, zunächst interimsmäßig die Fäden des Dior-Ateliers zu koordinieren. Nach John Gallianos Abgang im vergangenen März ist der Posten des Chefdesigners noch vakant, doch Gaytten ließ sich nicht irritieren. Er buchstabierte die Exzellenz der Hohen Schneiderkunst fehlerfrei durch: In einem Spiel mit Schwarz und Weiß und einer Verbeugung vor dem „Film Noir“ zeigte er bezaubernde Entwürfe, die dank eines raffinierten Spiels mit raschelnden Seidenlagen zu schweben schienen.
Ein schwarzes Wickelkleid aus Organza im „Frisierumhang“-Look mit wadenlangem Glockenrock erhielt durch präzise gestickte Rosenblüten in Weiß Finesse. Schmale Tageskleider in softem Beige flossen elegant an den Mannequinkörpern herab, akzentuiert durch vertikale Steppnähte. Das I-Tüpfelchen auf diese, mit ein paar Rot- und Grautönen „aufgemischte“ Kollektion, setzte ein kunstvolles Ballkleid mit ausladender Krinoline. Aufeinander geschichtete Stofflagen in Schwarz und Weiß ließen den Eindruck eines Kittelkaro-Musters in Graunuancen entstehen. Mit einer speziellen Falttechnik waren die aufgestickten Rosenblüten gefertigt - ein Meisterstück französischer Handwerkskunst.
Alexis Mabille legte mit seiner Kollektion für Frühjahr/Sommer 2012 ein Bekenntnis zur Farbe ab und trieb das Thema bis zu den gefärbten Gesichtern der Models voran. Seine schmalen Satinkleider, Spitzensmokings und mehrlagigen Abendroben in Orange, Knallrot, Pink, Neongelb oder Grasgrün wirkten dabei keinesfalls schrill, sondern fein, elegant und tragbar.
Dass Couture manchmal nahe an die Bildende Kunst heranrücken kann, bewies Iris van Herpen. Schon in der vergangenen Saison sorgte die Newcomerin aus den Niederlanden für Aufsehen; jetzt ging sie noch weiter in ihrem Spiel mit organischen Formen. Van Herpen hatte sich von Mikroorganismen inspirieren lassen und die wurmartigen Strukturen von Bakterien in ihren skulpturalen Entwürfen aufgenommen. Ein aus schillernden Stäben gefertigter Anzug erinnerte an die stachelartigen Ausformungen von Viren, ein anderer Entwurf nahm in einem 3-D-Druck die Zeichnung von Algenteppichen auf. Trotz des seltsamen Themas wirkten die Modelle kleidsam. Nur die Schuhe mit krallenartigen Absätzen hätte Van Herpen besser in ihrem Couture-Labor lassen sollen.