Das Zeitalter der Kohle und seine Folgen
Eine Ausstellung in Essen zeigt, wie das „schwarze Gold“ die Moderne erst möglich gemacht hat.
Essen. Für das Ruhrgebiet ist 2018 ein Epochenjahr. Nach mehr als 200 Jahren endet die Bergbaugeschichte in Deutschland. Im Dezember ist auf den beiden letzten noch fördernden Steinkohlezechen in Bottrop und Ibbenbüren endgültig Schicht. Auf dieses historische Ereignis bereitet sich das Revier mit einer kaum überschaubaren Zahl von Veranstaltungen vor. Eine zentrale Rolle hat dabei die Ausstellung „Das Zeitalter der Kohle“, die von morgen an auf dem Unesco-Welterbe Zollverein in Essen zu sehen ist.
„Kohle schuf die Welt, in der wir leben, im Guten wie im Schlechten“, schreibt Ausstellungsmacher Franz-Josef Brüggemeier im Katalog. Der Bergbau prägte Industrie und Infrastruktur, die gesellschaftlichen Verhältnisse und das soziale Leben. Seine Folgen werden auf Dauer sichtbar bleiben. Der Bergbau hat die gesamte Ruhrgebietslandschaft verändert: Sichtbar durch Halden oder Bodenabsenkungen. Unsichtbar durch die Kohlendioxid-Belastung der Luft als Folge der Kohleverbrennung.
Für die Ausstellung haben sich das Ruhr Museum in Essen und das Deutsche Bergbaumuseum zusammengetan. Gezeigt werden rund 1200 Exponate aus fast allen europäischen Kohleregionen in spektakulären Ausstellungsräumen, in der Mischanlage der ehemalige Kokerei. Mit einer Standseilbahn werden die Besucher in die oberste Etage der Kohlebunkeranlage gefahren. Der Ausstellungsparcours führt dann über drei Ebenen der Geschichte der Kohlenutzung folgend nach unten.
Natürlich sind Bergarbeiterhelme zu sehen und die lange Zeit einfachen Werkzeuge, mit denen die Kohle aus dem Gestein geschlagen wurde — oder die Fahnen der Bergarbeitervereine und die Büsten der Zechenbesitzer. Aber die Ausstellung bietet auch überraschende Einblicke. An einer riesigen Wand stehen aufgereiht rund 4000 kleine Glasflaschen und Tiegel — Proben von Farben, die alle aus Kohleteer gewonnen wurden. „Kohle hat die Welt bunter gemacht“, sagt Brüggemeier. Gefärbte Stoffe wurden für jedermann erschwinglich.
Die chemische Industrie schaffte es, das stinkende Abfallprodukt Kohleteer zu Geld zu machen, wie die Ausstellungsmacher schildern. Zugleich gab es aber auch neue Umweltbelastungen: Als Friedrich Bayer 1864 in Barmen mit der Farbenproduktion begann, hagelte es Proteste: Eine Untersuchung der preußischen Regierung stellte schließlich fest, dass die Wupper „meistens einem Tintenstrom“ gleiche. Später zog Bayer nach Leverkusen um, wohl auch weil der Rhein mehr chemische Abwässer aufnehmen konnte.
Und die Kohle machte die Welt auch hell. „Mit dem Kohlegas konnte der Mensch Licht machen“, erläutert Brüggemeier. Prächtige Gaslaternen vom Anfang des 20. Jahrhunderts zeugen in der Ausstellung davon, dass Straßen und Plätze mit bis dahin nicht genannter Helligkeit ausgeleuchtet werden konnten.
Die Ausstellungsmacher versuchen, die häufige Selbstbezogenheit des Ruhrgebiets beim Thema Kohle zu durchbrechen. Sie haben der Schau den Untertitel „Eine europäische Geschichte“ gegeben. Eine Geschichte, die in der Ausstellung auf ein zentrales Dokument der europäischen Einigung zuläuft. In einer Vitrine liegt ein Original des Gründungsvertrags der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl von 1951, der Keimzelle der Europäischen Union.
Im Ruhrgebiet begann damals erst die große Zeit des Bergbaus. Mit Rekordförderzahlen wurde das Wirtschaftswunder befeuert. „Man kann sagen, dass unser Bild vom Bergbau durch die erfolgreiche Zeit der 1950er Jahre bestimmt ist“, sagt der Direktor des Ruhr Museums, Heinrich Theodor Grütter. Die Hochphase hielt aber nur kurz an. Bereits 1958 wurde die erste Zeche geschlossen, der lange Abschied von der Kohle begann. Er dauerte schließlich 60 Jahre und kostete mehr als 200 Milliarden Euro an Subventionen — auch das verschweigt die Ausstellung nicht.