Defekt an Weiche soll Zugunglück verursacht haben
Paris (dpa) - Das schwere Zugunglück südlich von Paris ist vermutlich durch ein defektes Verbindungsteil an einer Weiche verursacht worden.
Das Stahlelement, das eigentlich zwei Schienenteile zusammenhalten sollte, habe sich aus noch ungeklärter Ursache gelöst, erklärte ein Bahnverantwortlicher am Samstag auf einer Pressekonferenz. Deswegen konnte der Zug nicht seinen regulären Weg fahren. Nun sollen schnellstmöglich alle vergleichbaren Verbindungsteile im französischen Schienennetz überprüft werden, es sollen rund 5000 sein.
Bei dem schwersten Zugunglück in Frankreich seit 25 Jahren waren am späten Freitagnachmittag mehrere Waggons eines Intercity-Zuges an einem Bahnhof in Brétigny-sur-Orge aus den Gleisen gesprungen. Mindestens sechs der 385 Reisenden starben. 30 Menschen mussten nach Regierungsangaben stationär in Krankenhäusern behandelt werden. Ärzte sprachen zudem von Dutzenden Leichtverletzten. Bei den Todesopfern handelt es sich nach Behördenangaben um vier Männer und zwei Frauen im Alter von 19 bis 82 Jahren.
Dass sich weitere Tote in den Trümmern befinden, galt am Samstag weiter als nicht ausgeschlossen. „Die Rettungskräfte haben zur Stunde keine neuen Opfer identifiziert, (...) aber wir müssen extrem vorsichtig bleiben“, sagte Verkehrsminister Frédéric Cuvillier. Die Bergungsarbeiten seien langwierig. Die umgestürzten Waggons sollten erst im Laufe des Tages aufgerichtet werden.
Nach den Angaben zum Unfallablauf waren am Freitag um 17.14 Uhr vier Waggons des Intercity-Zuges an einer Weiche rund 200 Meter vor dem Bahnhof von Brétigny-sur-Orge entgleist. Während der eine Zugteil weiterrollte, krachte der andere zum Teil auf den Bahnsteig. Der Zug fuhr mit 137 Stundenkilometer und damit 13 km/h langsamer als erlaubt. Über die Weiche vor dem Bahnhof war eine halbe Stunde vor dem Unglück noch ein anderer Zug gefahren - offensichtlich ohne Probleme.
Augenzeugen an der Unfallstelle bot sich am Freitag ein Bild des Grauens. „Das Bahnsteigdach ist eingestürzt. Vier Waggons sind total zerfetzt“, sagte der sozialistische Parlamentarier Michel Pouzol und sprach von einem „apokalyptischen Anblick“. Ein 22-Jähriger, der zum Unglückszeitpunkt in der Bahnhofsbar saß, berichtete von dramatischen Szenen. „Es flogen überall Trümmerteile und Schotter herum“, sagte er der dpa. Teller seien auf den Boden gekracht, eine Frau sei durch die Schockwelle fünf Meter durch die Luft geschleudert worden. Nicht nur im Zug selbst, sondern auch am Bahnhof habe es Verletzte gegeben. Hunderte Rettungskräfte kümmerten sich um die Opfer.
Der am Pariser Bahnhof Austerlitz gestartet Unglückzug hätte eigentlich am Abend um 20.05 Uhr in Limoges ankommen sollen. Die Stadt liegt rund 400 Kilometer südlich der Seine-Metropole. Die Strecke blieb zunächst komplett gesperrt. Tausende Reisende, die in Richtung Orléans, Limoges und Toulouse wollten, mussten auch am Samstag auf andere Transportmittel ausweichen oder daheimbleiben.
Bundesaußenminister Guido Westerwelle zeigte sich in einer Stellungnahme bestürzt über die Nachrichten zu dem „furchtbaren Zugunglück“. „Unser tief empfundenes Mitgefühl ist mit den Angehörigen und Familien der Opfer. Ich wünsche den vielen Verletzten baldige Genesung“, kommentierte er. Für Samstagmittag wurde in allen französischen Bahnhöfen und Zügen zu einer Schweigeminute aufgerufen. Verkehrsminister Frédéric Cuvillier wollte am Pariser Bahnhof Gare de Lyon der Opfer gedenken.
Ein noch schwereres Unglück als das von Brétigny-sur-Orge hatte sich 1988 am Gare de Lyon in Paris ereignet. An einem Zug versagten damals die Bremsen. Daraufhin bohrte er sich in einen stehenden Triebwagen. 56 Menschen starben. Nicht als Zugunglück im eigentlichen Sinne wird der Brand in einem Schlafwagen eines Nachtzugs auf der Strecke zwischen Paris und München gewertet. Damals starben bei Nancy zwölf Menschen.