Der Erste Weltkrieg als Beschleuniger der Kunst
Bonn (dpa) - Als Picasso im Ersten Weltkrieg in Paris eine Kanone mit Tarnmuster sah, rief er nicht ohne Stolz aus: „Das waren wir, die das geschaffen haben!“
Abstrakte Künstler hatten in den Jahren zuvor erstmals die Umrisse von Figuren in einer Gesamtstruktur aufgelöst. Diese Kenntnisse machten sich die Generäle im Krieg zunutze - beide Seiten engagierten Künstler für die Camouflage.
Wenn man den Malern in den Jahren vor dem Krieg gesagt hätte, dass sie bald so etwas tun würden, hätten sie das wohl weit von sich gewiesen. Künstler und Sammler waren damals international eng vernetzt. Es existierte sogar die „Hoffnung auf eine gesamteuropäische Bewegung“, wie es der Intendant der Bundeskunsthalle, Rein Wolfs, bei der Eröffnung der Ausstellung „1914 - Die Avantgarden im Kampf“ gesagt hat.
Dieses Maß an gegenseitigem Austausch wurde erst lange nach dem Zweiten Weltkrieg wieder erreicht, in einigen Fällen sogar nie mehr. „Die weite Internationalität zwischen Moskau und Paris, die hat es im 20. Jahrhundert kaum wieder gegeben“, meint der Kurator der 1914er-Schau, Uwe Schneede. In Paris wurde der Kubismus während des Krieges als „deutsche Kunst“ geschmäht. Einige Forscher vermuten, dies habe mit dazu beigetragen, dass sich Picasso wenig später davon abwandte.
Die neue, schockierende Erfahrung eines industriell geführten Krieges mit Millionen Toten löste in der Kunst Gegenbewegungen aus. Noch 1916 entstand in der neutralen Schweiz, dem Zufluchtsort vieler Künstler und Literaten, die neue Kunstrichtung Dada. „Dada war gegen alles“, erläutert Schneede. „Gegen den Krieg, aber dann auch gegen das Bürgertum und gegen die alt gewordene Kultur.“
Eine zweite Strömung war die Neue Sachlichkeit. Auch sie richtete sich gegen das, was vor dem Krieg bestimmend gewesen war, vor allem gegen den gefühlsbetonten Expressionismus. Künstler wie Otto Dix oder George Grosz misstrauten jedem Pathos, ihren Werken liegt ein Urmisstrauen zugrunde, das unmittelbar aus der Erschütterung des Krieges herrührt. Eng verwandt damit ist der nüchterne Bauhausstil der 1920er Jahre als Gegenreaktion auf den verschnörkelten Jugendstil.
„Man kann beobachten, dass durch das Kriegserlebnis, durch die Erfahrung schrecklichster Erschütterungen und Leiden, ganz offensichtlich die Entwicklung der Kunst beschleunigt wurde“, ist das Fazit von Schneede.
Die Kunsthistorikerin Christine Hopfengart hat in einem Essay über Paul Klee herausgearbeitet, wie dieser seit 1916 als Soldat „eine geradezu rauschhafte Produktivität“ erlebte. „Alles versinkt um mich, und gute Werke entstehen von selber vor mir“, schrieb er seiner Frau. „Ob meine Arbeit bei gelassenem Weiterleben auch so schnell emporgeschossen wäre wie Anno 1916/17?“ Auf einer Gruppenaufnahme mit anderen Soldaten von 1916 fällt Klee als einziger durch breites Grinsen auf, während viele seiner Kameraden wie versteinert wirken. Seine Frau machte ihm deshalb Vorwürfe.
Noch in Uniform stieg Klee zu einem der erfolgreichsten Nachwuchskünstler auf. Erst die existenzielle Erfahrung des Krieges hatte seine Wahrnehmung so weit geschärft, dass er Bilder von einer bis dahin nicht gekannten Intensität schaffen konnte. Und dies gilt nicht nur für Klee. Es mag zynisch klingen, aber der Krieg hat der Kunst zu einer neuen Qualität verholfen. Er wirkte durchaus inspirierend.