Der Papst und der Zölibat: Wie Ratzinger einst dachte

Kirche: 1970 wollte der heutige Papst den Zölibat auf den Prüfstand stellen. Nun aber will Benedikt davon nichts mehr wissen.

München. Religionswissenschaftler bezeichnen den Inhalt des Briefes als Sensation. Joseph Ratzinger und acht andere bekannte Theologen stellten im Jahr 1970 in einem Memorandum den Pflichtzölibat in Frage und warnten: Sollte alles beim Alten bleiben, könnte es zum kollektiven Ungehorsam von Priestern kommen. Ratzinger, heute Papst Benedikt, will von solchen Positionen nun nichts mehr wissen und bezeichnet sie als „Zeitgeist“.

In ihrem Brief stellten die Theologen damals klar, dass sie nicht prinzipiell gegen den Zölibat seien. Ein eheloses Priestertum müsse „als echte und reale Möglichkeit bestehen bleiben“, zitiert die „Süddeutsche Zeitung“ aus dem Memorandum.

Es stelle sich aber die Frage, ob die bisherige Form priesterlichen Lebens so bleiben müsse. Zwar könne der Papst in dieser Frage das letzte Wort haben. Dies entbinde die Bischöfe aber nicht von der Verantwortung, sich über die Zukunft des Zölibats Gedanken zu machen. „Sie sind keine Beamten des Papstes oder lediglich Exekutoren des päpstlichen Willens“, sondern „mindestens anzuhörende Ratgeber“ des Pontifex.

Nach Expertenmeinung zeigen die Ausführungen der neun Theologen, wie stark das Selbstbewusstsein nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil auf den unteren Stufen der geistlichen Hierarchie entwickelt war. Der liberale Wind, der nach der Studentenrevolte Anfang der 70er Jahren in den westlichen Industrienationen wehte, hatte auch die katholische Kirche erfasst. Heute, wo Laien nach den Missbrauchsfällen in der Kirche und angesichts des Priestermangels die Zölibatsfrage wieder heiß diskutieren, sind derart Äußerungen von geweihten Theologen hingegen kaum denkbar. Sie müssten mit Versetzung oder mit dem Entzug der Lehrerlaubnis rechnen.

Allerdings wird der Ruf nach einer Reform in der Gesellschaft immer lauter. So forderte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) kürzlich, auch verheiratete Männer müssten künftig zu Priestern geweiht werden.

Wenig überraschend jedoch ist, dass die deutschen Bischöfe zurückhaltend auf den Vorstoß zur Lockerung des Zölibats reagierten. Die Anregung verlange eine „Meinungsbildung und Entscheidung auf gesamtkirchlicher Ebene“. Auch beim Deutschland-Besuch von Papst Benedikt XVI. im Herbst solle das Thema nicht beraten werden. Red