Der Schweineflüsterer
Tierarzt Kees Scheepens kontrolliert Mastbetriebe. Er kennt sich mit dem Borstenvieh aus wie kaum ein anderer.
Dülmen. „Rupp Rupp“ grunzt das Schwein. Die riesige Sau wirft den Kopf herum. Das Tier blickt zornig. Denn Kees Scheepens (53) hat sich am Trog bedient und etwas vom Tierfutter in den Mund genommen.
„Rupp Rupp“ ist ein Alarmgeräusch. Das bedeutet: „Ich sag es dir einmal. Ich sag es dir zweimal. Aber ich sag es dir kein drittes Mal.“ Scheepens ist „Schweineflüsterer“. In den vergangenen 26 Jahren hat der Tierarzt in jedem Land Europas Ställe besucht, am Verhalten abgelesen, ob Tiere gesund sind. „Ich habe fünf Millionen Schweine gesehen. Aber an diesen Geruch werde ich mich nie gewöhnen.“
Der freundliche Niederländer lässt sich das Futter auf der Zunge zergehen. „Eine Art Suppe mit Getreide und Säuerungsmittel. Es ist gut.“ Schweine seien wählerisch wie Menschen. „Wenn das Futter nicht okay ist, lassen sie es im Trog stehen.“
Der Mann, dem die Schweine vertrauen, ist an diesem Morgen im Münsterland zu Gast. Hier hat ein Bauer Sorgen. Er muss seinen Sauen häufig bei der Geburt helfen. Das kostet viel Arbeit und Zeit. Der Stall ist groß, es gibt Dutzende Sauen. Scheepens lehnt sich auf das Gatter, betrachtet ruhig Tier für Tier.
Er sucht nach Auffälligkeiten, schaut, ob die Ferkel sich übereinander türmen. „Dann ist ihnen zu kalt.“ Eine Fußbodenheizung versorgt sie mit Wärme. Doch der Experte will sichergehen. Scheepens verschwindet aus dem Stall — und kommt mit einer Disco-Nebelmaschine zurück.
Kurz darauf ist vom Kopf der Sau nicht mehr viel zu sehen vor lauter Trockeneis. Der Tierarzt will den Verlauf der Luftströme im Stall sichtbar machen. „Ich will abklären, ob die Frischluftzufuhr das Mikroklima der kleinen Ferkel zerstört.“
Tut sie nicht, zeigt das Experiment. Der Nebel zieht dahin, wo er hingehört, auf das Muttertier. Der beheizte Teil des Bodens mit den Ferkeln bleibt warm. Die Sau ist vom Nebel völlig unbeeindruckt. Das Tier grunzt und säugt den Nachwuchs. „Zu dem Geräusch wird rhythmisch das Hormon Oxytocin ausgeschüttet“, erklärt Scheepens. Dadurch wird die Milchproduktion angeregt.
„Rrrroi-Quiek“ macht das Mutterschwein, als der Niederländer es am Rücken berührt. „Das scheint es nicht gewohnt zu sein.“ Aber Schweine würden es mögen, am Rücken gestreichelt zu werden — genau wie Menschen. „Mit frohen Schweinen kann man mehr Geld verdienen“, sagt der 53-Jährige.
Der „Schweineflüsterer“ will dem Landwirt in Dülmen Verbesserungen vorschlagen. „Die Frage ist immer: Was mache ich aus der bestehenden Situation?“ Sein Auftraggeber solle nicht den Stall einreißen und neu bauen — aber er könne mit wenigen Änderungen viel erreichen. Scheepens hebt eine Stange des Metallgerüsts, das die Ferkel vor dem lebendigen 300-Kilo-Fleischberg der Mutter schützt. Es gibt einen lauten Knall. Unnötiger Lärm bedeutet für die Tiere Stress. „Da würde ich ein Gummi dazwischen machen.“
„Schweineflüsterer“ Scheepens sagt, es habe sich schon sehr viel getan in Europas Ställen. Insgeheim habe er nur einen Wunsch: Dass der Mensch den intelligenten Tieren eines Tages getrennte Toiletten für Urin einerseits und den Kot andererseits anbiete. Erst durch die Vermischung entstehe der beißende Ammoniakgestank. „Ich stehe so häufig unter der Dusche und denke mir: Aaaah! Das müsste eigentlich nicht sein.“