Die Basler Fasnacht: Karneval ohne Schnapsleichen
Basel (dpa/tmn) - Basels „magischer Moment“ kommt am ganz frühen Morgen. Dann nimmt die tollste Fasnacht der Schweiz ihren Lauf, auch zur Freude Tausender Touristen. Mit dem deutschen Karneval hat die Party wenig gemein.
Es herrscht Dunkelheit fast wie im Mittelalter. Keine Laterne darf leuchten, kein Schaufenster, keine Werbetafel. Zehntausende wandern in die Basler Innenstadt, die man mehr erahnt als sieht. Dann die Glockenschläge. Eins, zwei, drei. Um Schlag 4.00 Uhr ist es aus mit Stille und Dunkelheit. Tausende bunt kostümierte und maskierte Pfeiffer und Trommler läuten die „drey scheenschte Dääg“ (drei schönsten Tage) in der Schweizer Rheinmetropole ein.
Der stimmungsvolle „Morgenstraich“ ist der Auftakt zur größten Schweizer und zugleich einzigen protestantischen Fasnacht der Welt. Jedes Jahr reisen dafür auch aus Deutschland und Frankreich Tausende Schaulustige in den Schweizer Teil des Dreiländerecks am Rheinknie. Seit Alters her gilt die Basler Fasnacht als größtes Open-Air-Spektakel im gesamten alemannischen Kulturraum.
Zu erleben sind fantasievolle Masken und Kostüme, scheinbar unendlich viele kleine und etliche riesige Laternen - farbenfroh bemalt, oft mit Anspielungen auf aktuelle Skandale in Wirtschaft und Politik. Insofern gibt es eine gewisse Ähnlichkeit zum Kölner Karneval. Doch ansonsten ist in Basel nahezu alles anders - aber nicht weniger fröhlich.
Wer mag, kann beide Ereignisse im selben Jahr genießen. Denn die Basler Fasnacht steigt stets nach dem Karneval. Sie beginnt am ersten Montag nach Aschermittwoch. 2015 fällt der „Morgenstraich“ auf den 23. Februar. Dann ziehen wieder drei Tage lang herrlich kostümierte Narren-Cliquen zu Trommelrhythmen und den hohen Tönen der Piccoloflöten durch die Gassen der Altstadt.
Erst wenn die Nacht längst vorüber ist, dürfen sich beim „Cortège“ (Umzug) zum Tageslicht auch die lautstarken Guggenmusikgruppen mit ihren Trompeten, Posaunen und Schlagwerken ins Getümmel mischen.
An den Umzügen beteiligen sich beinahe 500 kleinere wie größere Fasnachtsgruppen mit mehr als 12 000 Aktiven - von den Cliquen über Motivwagen-Gruppen bis zu großen Guggenmusik-Bands.
Hinzu kommen die „Schnitzelbänggler“ - eine Art Bänkelsänger, die Spottverse auf die Obrigkeit und über Ärgernisse des Alltags vortragen. Freilich in Baseldeutsch. Das klingt wunderbar, ist aber - abgesehen von Besuchern aus der benachbarten alemannisch geprägten Grenzregionen - für Ausländer kaum verständlich.
Etwas gewöhnungsbedürftig sind die Regeln der tollen Tage in Basel für Neulinge schon. Die wichtigste lautet: „Nur die aktiven Fasnächtlerinnen und Fasnächtler tragen ein Kostüm, Zuschauer bleiben in Zivil“, erläutert der Brauchtum-Kenner Christian Rieder. „Keine geschminkten Gesichter, keine Pappnasen und Narrenkappen!“ Jedenfalls nicht für Zuschauer.
Das ist freilich nicht der einzige Unterschied zum Karneval. „Man besäuft sich nicht, und man schunkelt und grölt auch nicht“, sagt Rieder. Soweit der Anspruch. Die Realität sieht ein klein wenig anders aus. An die Kostümregel halten sich zwar alle, die sie kennen. Auch dass man Darsteller mit ihren riesigen Masken beim Fotografieren nicht anblitzen soll und die beim „Cortège“ reichlich ausgeteilten Apfelsinen nicht zurück auf die Festwagen wirft, wird weithin respektiert.
Aber fröhlich gefeiert und gebechert wird auch in Basel. „Bermuda-Dreieck“ nennt der Volksmund das Gebiet rings um die Schneidergasse - ungefähr zwischen Restaurant „Gifthüttli“ und dem „Chateau Lapin“ -, weil dort schon so mancher Fasnachts-Zecher für einige Zeit verschwunden sein soll. Dennoch: Anders als bei mancher Faschingsparty weiter nördlich der Grenze trifft man in Basel so gut wie nirgends auf Schnapsleichen. Jeder scheint sein Maß zu kennen. Fröhlichkeit ohne Peinlichkeit: In Basel geht das.
Somit sind die „drey scheenschte Dääg“ auch bestens für Kinder geeignet - vor allem der Fasnachtsdienstag mit der großen Laternen-, Wagen- und Requisitenausstellung.
Wer sich beim Fasnachtsausflug nach Basel nicht gleich als Greenhorn outen will, kann am Sonntag vor dem „Morgenstraich“ an einem Einführungsstadtrundgang mit Experten teilnehmen. Organisiert werden die Touren von Visit Basel. Dabei erfährt man auch vieles über die Geschichte der Fasnacht. Sie geht auf heidnische, vermutlich keltische und germanische Ursprünge zurück.
Der ganz eigene Fasnachts-Sound der Metropole am Rheinknie hat viel mit dem Aufenthalt ausländischer Truppen in früheren Jahrhunderten zu tun. „Die Herkunft der Trommelmärsche sind bei der Signal- und Marschmusik des Militärs zu verorten“, erzählt Rieder.
Napoleons Begeisterung für Trommeln lässt grüßen. „Einer seiner Militär-Tambouren war Johannes Bühler aus Wattwil, der sich 1815 in Basel niederließ“, erzählt Rieder. „Er veröffentlichte 1819 eine Tambour- und Pfeiferordonnanz für eidgenössische Truppen, ein Lehrbuch, welche das Basler Trommeln bis heute prägt.“
Bei so starken historischen Wurzeln und ausprägtem Brauchtum ist es kein Wunder, dass die Eidgenossen-Regierung bei der Unesco beantragt hat, die Basler Fasnacht als Schweizer Tradition auf die Liste des immateriellen Weltkulturerbes zu setzen.