Die Bayers aus Nettetal: Und täglich lockt ein Marathon
Else und Martin Bayer – 70 und 69 Jahre alt – sind Ultra-Läufer. Die Extremstrecken der Welt sind ihr Zuhause. Ihr nächster Coup: 1350 Kilometer von Polen bis an den Niederrhein.
Nettetal. "So weit die Füße tragen" - der Titel des Fernseh-Erfolgs von 1959 ist das Lebensmotto von Else und Martin Bayer. Im Gegensatz zum legendären Heinz Weiss, der als Hauptdarsteller in der Serie aus russischer Kriegsgefangenschaft zu Fuß zurück nach Hause flieht, ist das Ehepaar Bayer aber alles andere als auf der Flucht. Die Nettetaler sind passionierte Ultra-Läufer. "Für mich ist das Laufen keine Anstrengung. Für mich ist das die absolute Entspannung", sagt die 70-jährige Else Bayer.
Zu den Ultra-Läufen gehören alle Strecken, die länger sind als ein Marathon (42,195 Kilometer). Über diese Mindestgrenze können die Niederrheiner aber nur müde lächeln. Der Deutschland-Lauf von Rügen nach Lörrach an der Schweizer Grenze über 1045 Kilometer, der Marathon des Sables durch die Wüste von Südmarokko (230Kilometer) oder die 1000Meilen von New York - all diese Extremläufe haben sie schon absolviert.
"Besser gesagt: Meine Frau hat das alles geschafft", erzählt der 69-jährige Martin Bayer. "Sie ist die treibende Kraft." Zu Beginn der Ultra-Karriere von Else Bayer vor etwa 30 Jahren habe er nur die Begleitung übernommen. "Da habe ich mich um Organisation und Verpflegung gekümmert. Mit der Zeit bin ich dann immer aktiver geworden", erinnert sich der Pensionär. "Du bist nicht mehr so faul wie früher", fällt Else Bayer ihrem Mann ins Wort und lacht herzhaft.
Ausruhen - das ist nicht die Sache des Läuferpaars. Das merkt man schnell, wenn man mit den beiden an ihrem Wohnzimmertisch sitzt. Ständig ist einer in Bewegung, steht auf, holt eine Statistik, eine Urkunde oder ein Foto. "Sitzen ist nichts für mich. Ich muss immer in Bewegung sein", erklärt Else Bayer. "Ich brauche auch keine langen Pausen."
Das ist ein großer Vorteil beim Ultra-Laufen - wer länger rastet, schafft weniger Kilometer. Die 70-Jährige muss bei einem Wettkampf nicht die ganze Nacht schlafen. "Sie ist häufig nachts allein auf der Strecke", beschreibt ihr Mann. "Wenn die anderen noch schlafen, ist meine Frau schon wieder auf Trab." Eine Gabe, die ihr unter anderem bei den 1000 Meilen von New York 2002 zu Gute kam. Auf dieser Strecke hält die Nettetalerin immer noch den Weltrekord in ihrer Altersklasse: 17Tage, 11Stunden, 34Minuten und 28Sekunden.
"Darauf bin ich stolz. Ich laufe nämlich schon auf Zeit", gibt die Weltrekordlerin zu. "Und wenn ich meine Ziele nicht erreiche, ärgert mich das." Deshalb sei sie auch nicht mehr auf kurzen Strecken unterwegs. "Für einen 5000-Meter-Lauf fehlt mir einfach die Grundschnelligkeit. Und als Letzte will ich nicht ins Ziel kommen." Ihr Mann sieht das gelassener: "Für mich ist das Erlebnis entscheidend. Die Zeiten sind nicht so wichtig."
Beide haben bei ihrem extremen Hobby aber eines gemeinsam: Sie wollen an ihre Grenzen gehen. "Es ist einfach toll, wenn man sich bei einem Lauf völlig auf das Ereignis fokussiert", erklärt Else Bayer. "Beim Laufen kann ich abschalten. Nach spätestens 16Stunden bei einem Ultra-Lauf habe ich alle Sorgen vergessen." So sei sie auch zum Laufen gekommen. "Ich hatte damals gesundheitliche Probleme. Das alles habe ich beim Laufen verarbeitet. Ich habe mich gesund gelaufen." Zunächst auf "ganz normalen" Strecken, später auf den Ultra-Distanzen.
Die beste "Grenzerfahrung" hatten die Sportler beim Wüsten-Marathon in Marokko. "Das geht über eine Woche. Man läuft quasi täglich einen Marathon - allerdings durch tiefen Sand und bei 50Grad Hitze", beschreibt Martin Bayer das Szenario. "Wie man sich dort selbst kennenlernt, das ist einfach unglaublich", ergänzt seine Frau.
Das nächste "große Ding" steht bei den Bayers schon bald an. Am 7.August starten sie vom polnischen Elk aus auf eine Mammut-Tour nach Nettetal. "Das sind 1350 Kilometer. Am 6.September wollen wir wieder in Nettetal sein", sagt Else Bayer. Ihr Partner korrigiert: "Wir werden dann wieder in Nettetal sein." Elk, im früheren Ostpreußen gelegen, ist die Partnerstadt von Nettetal. Bei einem Besuch in Polen 2008 kamen die Bayers auf die Idee. "Es gibt eine Fahrrad- und eine Autostrecke, sogar eine Kanutour. Aber eine Laufstrecke, die hat noch keiner absolviert", erklärt Else Bayer die Motivation. Außerdem sei es für sie, die im damaligen Westpreußen geboren wurde, eine Herzensangelegenheit, durch Polen zu laufen.
"Zunächst haben uns viele in Nettetal für verrückt erklärt. Aber jetzt stehen alle hinter unserer Idee", sagt Martin Bayer. Freunde fahren mit dem Wohnmobil mit, die Stadt plant für den 6.September einen Empfang. "Das wird ein tolles Fest. Die Belohnung für die Tour."
Ans Aufhören denkt vor allem Else Bayer noch lange nicht: "Wir hatten mal gesagt, dass die Elk-Tour die letzte lange Strecke wird. Aber die Vorbereitung macht so viel Spaß, und ich fühle mich fit. Da kommt bestimmt noch was dazu." Auch, weil sie seit kurzem in der Altersklasse W70 unterwegs ist. "Da kann ich noch ein paar Rekorde aufstellen." Und wenn die Füße mal nicht mehr so wollen, "dann schalten wir eben auf den Ultra-Strecken einen Gang runter". Das agile Paar hat auch kein Problem damit, ein Stück zu gehen statt zu laufen. "So weit die Füße tragen - mehr geht nicht."