Geschichte der Armbanduhr Wie sich die Wahrnehmung der Uhr geändert hat

Düsseldorf · Das Smartphone kann die Uhr am Handgelenk nicht ersetzen. Denn beim Zeitmesser geht es natürlich nicht nur um die genaue Zeit.

Dicht am Puls des Besitzers: Frank Möller stimmt die Farbe seiner Schuhe oft mit dem Armband seiner Uhr ab.

Foto: Fatima Krumm

Was haben die Berliner Politikerin Sawsan Chebli und Rapper Capital Bra gemeinsam? Beide stehen auf Rolex. Letzterer widmete seiner Lieblingsmarke einen Song. Luxusuhren waren nie out. Doch wie steht es um den Zeitmesser am Handgelenk und woher kommt die Uhr?

Viele Kinder bekommen ihre erste Uhr zur Einschulung geschenkt. „Das ist auch heute noch so“, sagt Jörg Nölle aus Düsseldorf. Der Uhrmachermeister ist einer der wenigen seines Berufsstands. „Uhrmachermeister sterben aus. Die Uhr aber nicht“, bringt Nölle es auf den Punkt. Nur in der jüngeren Generation habe das Smartphone die Uhr als Zeitanzeige abgelöst.

Uhren als Gebrauchsgegenstand oder Prestigeobjekt

Ob als Schmuck oder Wertanlage, Gebrauchsgegenstand oder Hingucker – die Armbanduhr ist immer noch im Trend. Es gibt sie in allen Größen, Farben und Formen. Mit Armbändern aus Leder und Plastik und Stoff, Metall und Silikon.  Damen setzen auf Vielfalt, Herren auf eine einzige. Damen tragen die feinen, Herren die breiten. „Frauen haben meist mehrere, teilweise zu jedem Outfit eine Uhr“, berichtet Nölle.

Uhrmachermeister Jörg Nölle zeigt eine Seiko Prospex. Er führt sein Düsseldorfer Geschäft in dritter Genration.

Foto: Fatima Krumm

Frank Möller widerspricht dem Klischee. Mindestens zehn Uhren habe er. Er trägt seine Hamilton am braunen Lederarmband zu braunen Lederschuhen. „Ich habe auch einen Schuhtick“, sagt er freimütig. „Morgens und abends muss ich sie aufziehen“, erzählt der Hamburger, der in Düsseldorf vor einem Uhrengeschäft Ausschau nach der nächsten hält. „Man kann damit Akzente setzen“, erklärt Möller seine Leidenschaft. Die breiten Gehäuse sind nicht sein Stil. „Ich achte mehr auf das Ästhetische. Bei bei manchen stehen zu sehr die Marke und das Protzige im Fokus.“ Flieger- und Taucheruhren für Männer und Frauen aller Berufe.

Ende des 13. Jahrhunderts wurde in Italien die erste Uhr erfunden. „Es war ein Wecker, der die Mönche im Kloster zum Morgengebet in der dunklen Zeit geweckt hat“, erzählt der Zeitforscher Karlheinz Geißler die Historie. Zuvor wurde die Zeit mithilfe der Natur gemessen. Mit Wasser- oder Kerzenuhren. „Aber im Winter ist das Wasser eingefroren oder das Kloster wohl abgebrannt“, sagt Geißler. Also musste eine Uhr erfunden werden, die fern natürlicher Einflüsse funktionierte.

Hatten die später entwickelten Taschenuhren anfangs noch große Uhrwerke, konnte durch deren Verkleinerung die Armbanduhr entwickelt werden. Vor allem in Kriegen zeigte sich deren Vorteil gegenüber einer umständlich herauszuholenden, aufzuklappenden und wegzupackenden Taschenuhr. Das Militär trug sie ins Zivile. Ab den 1930er Jahren wurden mehr Armbanduhren als Taschenuhren produziert. Und Frauen wie Männer trugen sie, schon allein aus beruflichen Gründen.

Heute hat sich der Trend der Armbanduhren zu höheren Preisklassen hin verschoben. „Hochwertige Uhren sind beliebter geworden. Die Mittelklasse der Uhrenhersteller ist ziemlich weggebrochen“, berichtet Heinz Stupp, Obermeister der Uhrmacher-Innung Düsseldorf, Köln, Münster und Ostwestfalen-Lippe. Und auch in den oberen Klassen bleibt nichts wie es war. „Früher waren die Schweizer Weltmarktführer. Heute ist es Apple.“

 „Zeit ist eine Vorstellung von Veränderung“, meint der Zeitforscher Geißler. „Zeiger überbrücken Räume, aber nicht die Zeit.“  Zeiger. Sie vermitteln ein anderes Zeitgefühl als eine digitale Anzeige. Während auf dem Smartphone neben der Uhrzeit gleichzeitig noch Benachrichtigungen von Whatsapp, Instagram und Tinderflammen ins Blickfeld geraten, zeigt eine Uhr einfach die Uhrzeit. Abgesehen von der smartwatch. Auf dem Ziffernblatt lassen sich Zeit und Raum verorten. Man kann beobachten, wie die Zeiger unermüdlich weiter schreiten. Und keiner kann sie aufhalten. Außer einer leeren Batterie. Kein Vergleich mit dem so plötzlichen Umspringen der Zahl auf der Digitalanzeige. Diese zeigt nur einen Ist-Zustand. Die analoge Armbanduhr hingegen zeigt immer einen War- Ist- und Wird-sein-Zustand. Eine Uhr bringt Ruhe oder Stress.

Pünktlichkeit ist Macht und Wirtschaftsfaktor

Ticktack. Ticktack. „Wer die Zeit hat, hat die Macht“, behauptet Geißler. Er sagt auch: „Pünktlichkeit ist ein Herrschaftsmittel, um zu disziplinieren.“ Der Mensch muss lernen, sich nach einem Uhrwerk zu richten. „Der Mensch ist nicht pünktlich geboren und wird auch nicht pünktlich sterben“, deshalb sei der Fortschritt der Uhr nur im Wirtschaftssystem zu finden. „Eine Uhr macht es möglich, Zeit in Geld zu verrechnen. Der Kapitalismus ist ohne Uhr undenkbar“, resümiert der 75-Jährige. Durch die Uhrzeit wird Zeit erst wertvoll gemacht. Reichtum gehe einher mit Armut an Zeit. Doch heute mache nicht mehr der Pünktliche Karriere, sondern der Flexible.

Für eine pensionierte Lehrerin aus Mönchengladbach hat Pünktlichkeit auch nach dem Beruf Priorität. „Ich habe so viele Termine. Enkelkinder betreuen, meine Züge fahren, da brauche ich eine Uhr“, sagt die Dame, die aufgrund ihrer exquisiten Uhr nicht namentlich erwähnt werden möchte. „Das ist ein tolles Instrument mit hoher Handwerklichkeit“, erklärt sie ihre Faszination für ihre Jaeger Lecoultre. Die Uhr wurde für den Polosport erfunden, das filigrane Gehäuse hat eine Kippfunktion, damit das Glas nicht beschädigt wird.

So wie einst bei Tragemoden vergangener Zeiten. Mit dem Glas nach unten war in manchem Kreis – beispielsweise dem der Oberstufenschüler – en vogue. Der Sinn dahinter ist unbekannt. Aber Mode braucht keinen Sinn. Sie ist einfach.

Dass die Uhr ausstirbt, glaubt der Innungs-Obermeister Stupp nicht: „Mit einer Uhr ist sichtbar, was man hat.“ Und Zeitforscher Geißler prophezeit: „Eine Armbanduhr wird genau wie einst das Pferd oder das Segelboot: zum Luxusgegenstand.“