Mit Auto in Menschenmenge gefahren Die Gewalttat von Volkmarsen und die Frage nach dem „Warum?“

Volkmarsen · Ein Auto rast in eine Menschenmenge. Die Gewalttat erschüttert die Kleinstadt Volkmarsen - und weit darüber hinaus. Eine Woche danach ist der Alltag in Nordhessen zurück - doch die Tat wirkt nach.

Besucher stehen am 25. Frebruar beim ökumenischen Gottesdienst an der Kirche St. Marien und umarmen sich. Die Tat von Volkmarsen am Rosenmontag bewegt nochimmer die Menschen.

Foto: dpa/Swen Pförtner

Eine Reihe abgebrannter Kerzen auf der Kirchenmauer - das ist zunächst alles, was in Volkmarsen noch an die Gewalttat vor einer Woche erinnert. Am Rosenmontag raste ein Autofahrer in eine Menschenmenge, nun sind alle sichtbaren Spuren des Vorfalls verschwunden. In dem Supermarkt hinter dem Tatort herrscht normaler Betrieb. Doch: „Die Ruhe täuscht“, sagt Volkmarsens parteiloser Bürgermeister Hartmut Linnekugel.

Wenn er durch den Ort gehe, sei die innere Aufgewühltheit sofort zurück. Vor allem eine Frage beschäftige die Einwohner, sagt Linnekugel: „Warum?“ Was bewegte den 29 Jahre alten mutmaßlichen Täter dazu, sein Auto in die Menge zu steuern? Was trieb ihn an, rund 90 Menschen zu verletzen, darunter zahlreiche Kinder? Eine Antwort auf diese Fragen gibt die ermittelnde Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt bisher nicht. „Wir haben sie auch nicht“, so der Bürgermeister.

Es werde noch viel über die Tat gesprochen, sagt auch der katholische Pfarrer der Stadt, Martin Fischer. Statt des Tatverdächtigen stünden dabei aber die Familien der Opfer im Mittelpunkt. „Das zeigt, dass man Anteil am Schicksal der Menschen nimmt.“

Die 7000-Einwohner-Stadt Volkmarsen im Landkreis Waldeck-Frankenberg ist eine katholische Enklave in einer protestantischen Region. Der Karneval hat besondere Bedeutung - er sei das wichtigste Fest des Jahres, sagt Linnekugel. Der Präsident der örtlichen Karnevalsgesellschaft, Christian Diste, sprach beim Gottesdienst am Tag nach der Tat vom „Herz des Volkmarser Karnevals“, das zerstört worden sei. Heute sagt er: „Es wird weiter schlagen, da bin ich mir sicher. Aber es wird anders sein.“

Die Tat hat auch überregional eine Welle der Solidarität mit der Kleinstadt ausgelöst. Hunderte Briefe seien eingegangen, sagt der Bürgermeister. Es habe viele Hilfsangebote gegeben - zum Beispiel von einem Busunternehmer, mit betroffenen Kinder eine Fahrt in einen Freizeitpark zu machen. Auch Karnevalsvereine aus ganz Deutschland hätten sich gemeldet, erzählt Diste: „Es tut gut, wenn jemand an einen denkt, auch wenn er nicht unmittelbar helfen kann.“

Eine Besonderheit der Gewalttat war, dass viele Kinder - zuletzt sprachen Behörden von 20 - unter den Opfern waren oder zuschauen mussten. Laut Christian Diste, der selbst Vater ist, standen bereits am Dienstag Schulpsychologen bereit. „Die Schulen haben sofort dafür gesorgt, dass jemand da ist.“

Wie Volkmarsen langfristig mit der Erinnerung an die Gewalttat umgehen wird, wissen weder Diste noch Linnekugel. Stadt und Karnevalsgesellschaft haben ein Spendenkonto eingerichtet. Was mit dem dort eingehenden Geld geschehen soll, ist noch unklar. Sicher sei aber, dass es Verletzten, Angehörigen und Kindern zugute kommen soll. „Wir werden da gute Ideen entwickeln“, sagt der Karnevalist Diste.

Das öffentliche Leben in der Stadt muss weitergehen. Der örtliche Fußballverein VfR Volkmarsen feiert dieses Jahr sein 100-jähriges Bestehen. Und für Mai ist in einem Volkmarser Stadtteil ein Schützenfest geplant.

Das Thema Sicherheit wird laut Bürgermeister Linnekugel wichtiger werden. Aber eine komplette Abschottung oder Vorkehrungen wie bei Veranstaltungen in Großstädten seien nicht möglich. „Das können wir nicht, und ich glaube auch nicht, dass es uns schützt“, sagt Diste. Dass beim Karneval im nächsten Jahr bewaffnete Polizisten neben feiernden Kindern stehen, sei „ein Bild, das nicht passt. Aber es wird kommen.“

(dpa)