Die Jäger der verlorenen Schuhe
Die Familie Kowalewski aus Bonn fotografiert Fundstücke, die der Rhein ans Ufer spült. Die Objekte bekommen einen Namen und werden im Internet ausgestellt.
Bonn. Ganz schön mitgenommen sieht er aus. Die Zunge hängt schlaff zur Seite heraus und weckt den Anschein, als gehöre sie einem Hund, der in einer Pfütze seinen Durst stillt. Der linke Herren-Boot-Schuh, „Alter Bekannter“ betitelt, ist eines der rund 3200 „Exponate“, die es in die virtuelle Fotoausstellung von Silke und Normen Kowalewski aus Bonn geschafft haben. Seit 2003 ist die Seite www.rheinschuh.de online und kann von jedermann mit Bildern „gefüttert“ werden.
Die Idee zu der Aktion kam dem Paar beim Rhein-Spaziergang fernab des Weges. Immer wieder „stolperten“ die beiden über angeschwemmte Schuhe. „Es ist merkwürdig und faszinierend“, sagt die 46-jährige Silke Kowalewski. „Man stellt sich die Frage, warum so ein persönlicher Gegenstand im Rhein landet und wer wohl sein Besitzer war.“
Plastikschlappen, Plüschschluppen und Latschen in allen möglichen Farben und Formen gehen augenscheinlich ebenso leicht verloren wie Halb- und Turnschuhe. Und auch wadenhohe Stiefel aus Leder oder Gummi fallen öfter vom Fuß als vermutet. Kuriosester Fund der Kowalewskis: eine noch ansehnliche Frauenstiefelette mit hohem Pfennigabsatz. Ein Schuh, der weder zum Spaziergang noch zum Grillabend am Rheinufer taugt.
Einmal fanden die Kowalewskis einen besonderen Latschen: „Darauf standen eine Telefonnummer und eine Nachricht“, erzählt die Grafikerin. „Ich habe dort angerufen und erfahren, dass der Latschen bei Mainz in den Rhein geworfen worden war, um zu schauen, ob es eine Reaktion darauf gibt — eine richtige Schuhwasserpost“, die 150 Rheinkilometer später ihrem Finder vor die Füße gespült wurde.
Vor allem Männer verlieren in Rheinnähe wohl öfter mal einen Schuh, der später wieder angespült wird — doppelt so oft sogar wie Frauenschuhe. „Die meisten Schiffer und Ruderer sind Männer“, so die Theorie der 46-Jährigen. „Vielleicht achten Frauen aber auch besser auf ihre Schuhe.“ Geschlechterübergreifend sind es meist die rechten Treter, die es wieder an Land schaffen. „Das ist nicht zu erklären.“
Auch Schuhfragmente haben eine Chance — 600 sind es mittlerweile: Von der Strömung mitgenommen blieben nur noch schrumpelige Sohlen und abgeknickte Absätze übrig. Andere fielen zusätzlich dem Zahn der Zeit zum Opfer: „Gunther“ beispielsweise, der sich aus den Fluten retten konnte, oder „Groggi“ — beide nur mit viel Fantasie als Schuhe zu identifizieren.
Manches Paar hält sogar noch nach dem Fall ins kalte Wasser zusammen: „Erst haben wir den rechten Schuh entdeckt, und ein paar hundert Meter weiter lag der linke“, erzählt die 46-Jährige.