Die neue Weite - Was der Mann im Sommer trägt
Frankfurt/Main (dpa/tmn) - In der Mode kommt es immer wieder zu Gegenbewegungen. Hat sich ein Trend bei der Masse durchgesetzt, haben die Kenner der ersten Stunde längst etwas Neues entdeckt. Und so trug lange Zeit jeder modebewusste Mann schmale Hosenbeine.
Doch das gilt nicht mehr.
„Wenn man modisch vorne dran sein will, dann kann man mit schlanken Hosen keinen Blumentopf mehr gewinnen“. Das sagt André Bangert von der Fachzeitschrift „Textilwirtschaft“. Er spricht von einer „neuen Weite“ - und die zeige sich beim Mann im kommenden Sommer an der Hose.
So sind Bundfalten wieder gefragt. Das prognostiziert auch das Deutsche Mode-Institut (DMI) in Köln. Gekrempelt wird die Hose immer noch, doch nun ist sie weit geschnitten. Was auch ein Ausdruck von praktischer Bequemlichkeit sei, findet DMI-Geschäftsführer Gerd Müller-Thomkins. „Skinny sollte niemand mehr tragen“, findet Fashionblogger Carl Jakob Haupt von Dandy Diary. „Das tut man einfach nicht mehr.“ Was modisch jetzt komme, seien eben sehr weite Hosen, die extrem hoch getragen werden. Eine Zeitenwende? Nicht ganz.
Kein Mann braucht nun seine schmal geschnittenen Hosen auf dem Trödelmarkt anbieten. Hauptstädter Carl Jakob Haupt gibt sich dialektisch: „Skinny ist sowas von vorbei, dass es bald schon wieder in sein könnte.“ Aber eben: bald. So lange zählt die neue Weite.
Wer sich am Bein für diesen Look entscheidet, sollte obenrum gegensteuern. Unten schmal, oben locker - diese bisher dominante Kombination dreht sich um. Dazu passt, dass zum Beispiel der Blouson immer enger getragen wird. „Die Mode geht bis an die Grenzen der Schlankheit“, konstatiert Müller-Thomkins. André Bangert bestätigt: „Männer wollen Taille zeigen.“
Farblich bleibt es im Frühjahr und Sommer in der Männermode noch einmal sehr ruhig: viel Weiß, viel Grau, reduzierte Töne. „Wir warten auf die nächste Farbexplosion“, fasst Bangert zusammen. Doch die Zeit der komplett einfarbigen Outfits - man denke an das viel strapazierte All black everything - ist wohl ebenso gezählt.
„Es wird definitiv abwechslungsreicher“, weiß Fashionblogger Haupt. Sein Rat: „Mit einfarbigen Looks wird man zwar auch im Frühjahr 2016 nicht viel falsch machen, doch die modische Avantgarde ist natürlich einen Schritt weiter: Es darf gern wild kombiniert werden.“ Haupt verweist zum Beispiel auf das kalifornische Label Golf Wang und das Londoner Label Palace, das mit der „Internationale“ Kollektion viel Buntes, vom Surfsport Inspiriertes im Angebot habe.
Überhaupt ist smarte Sportlichkeit nicht mehr aus der Herrenmode wegzudenken. Bangert spricht vom „Megatrend schlechthin“. Sportswear werde immer eleganter interpretiert, bis hin zum Anzug, der jetzt auch super soft daherkommt und sich anfühlt wie eine Jogginghose. Das Deutsche Mode-Institut beobachtet Einflüsse etwa aus dem Yoga.
Der allgegenwärtige Sneaker dürfte an diesem Trend nicht unschuldig sein. Sein Siegeszug sei ungebremst, schreibt das DMI. Sneaker seien für den Mann ein gern genutztes Distinktionsmerkmal, erklärt Haupt. Er vergleicht die Bedeutung des Schuhs beim Mann mit der Rolle der Handtasche für die Frau. Dazu passt, dass sich die Mode immer stärker an sogenannten Key Pieces ausrichtet, also wertigen Einzelstücken.
„Der Mann denkt nicht mehr so sehr in Outfits“, sagt Müller-Thomkins. Dazu habe das Shopping im Internet beigetragen. Dort suche der Mann herausragende Kleidungsstücke: den stylishen Schuh, den perfekten Mantel. In jedem Segment orientiere er sich dann an spezialisierten Marken, nach dem Motto: „Wer alles kann, kann nichts.“ Die wertigen Einzelstücke werden dann - gerne auch mit schlichten Basics - zu einem individuellen Outfit zusammengesetzt. Ein neuer Eklektizismus!
Stilbrüche sind im Sommer also unbedingt erwünscht. „Es darf und soll gebrochen werden, wo es nur geht. Ein wilder Mix aus Materialien, Epochen, Stilen und Aussagen ist extrem hip“, sagt Blogger Haupt. Diese Perspektive eröffnet dem Mann einen großen Spielraum: Casual und Klassik befruchteten sich gegenseitig, stellt Bangert fest - was freilich nicht ganz neu ist. Aber mittlerweile geht eben fast alles: Sakko zur Destroyed Jeans, Zweireiher zum Longsleeve, Sneaker zu allem. Wer Stilbewusstsein hat, kann sich richtig austoben.
Auch manches verpönte Kleidungsstück findet so den Weg zurück in die Fußgängerzonen. „Man trägt gerne wieder Trekking-Sandale“, hat Bangert beobachtet. Ein offener Schuh, der outdoortauglich ist: Das passe zum Zeitgeist.