Die strenge Zarin der Modewelt

Anna Wintour ist Chefin der US-„Vogue“. Gerade legt sie sich mit den Designern in Mailand und Paris an.

Paris. Anna Wintour beherrscht die Modewelt. Weil es der strengen Chefredakteurin der amerikanischen "Vogue" gefiel, statt sechs nur drei Tage auf der Mailänder Modewoche im Februar zu verweilen, wurde der Terminplan holterdipolter zusammengepresst. Selbst Nobel-Marken wie Dolce & Gabbana, Armani und Prada verlegten die Défilées rasch vor. Hauptsache, die große Anna Wintour sitzt in der ersten Reihe.

Nun ist der internationale Modetross für die Prêt-à-Porter-Schauen an der Seine, bis Mittwoch läuft die Modewoche noch. Die 60-Jährige hat jedoch angekündigt, dass sie zur Oscar-Verleihung am Sonntag zurück in die USA fliegen will. Aber die Welthauptstadt der Mode hebt demonstrativ das Kinn. Man könne das Programm doch nicht von einer einzelnen Person abhängig machen, ließ Didier Grumbach, der Präsident des Französischen Modeverbandes, mitteilen.

Die Branche blickt gespannt auf dieses Kräftemessen. Wenn Wintour tatsächlich vorzeitig abreist, verpasst sie einige der wichtigsten Schauen - etwa die von Karl Lagerfeld und John Galliano am Sonntag, von Kenzo, Yves Saint Laurent und Stella McCartney am Montag. Auf der anderen Seite ist es für die Modehäuser riskant, auf ihr Urteil zu verzichten, denn ihr Einfluss auf Händler und prominente Kunden ist enorm.

Seit mehr als 20 Jahren an der Spitze der US-Vogue entscheidet sie maßgeblich über Farben und Schnitte, Trends und Karrieren. Bisher legten die Designer größten Wert darauf, dass sie zu ihren Schauen kommt.

Doch Wintour kommt nicht, sie erscheint. Stets wird sie von ihrem Chauffeur vorgefahren, stets trägt sie einen Rock und eine riesige Sonnenbrille, stets sitzt sie in der ersten Reihe neben den Designern. Konkurrentinnen von anderen Modemagazinen sitzen ihr gegenüber und können den ihnen zugemessenen Rang an der Nähe zu Wintours Sitzplatz ablesen.

Spätestens seit dem Film "Der Teufel trägt Prada" mit Meryl Streep in der Hauptrolle, für den sie die Vorlage lieferte, und der Dokumentation "Die September-Ausgabe" gilt die "Vogue"-Chefin als arrogante Tyrannin. Ihre Kaltblütigkeit beweist die Pelzträgerin auch, wenn Tierschützer sie mit Mehl, faulen Eiern oder Torten bewerfen.

Die Britin, geschiedene Mutter zweiter Kinder, lässt sich nicht aus der Reserve locken. Als sie ihr bei einem festlichen Dinner einen toten Waschbär auf den Teller gelegt haben, soll sie ruhig eine große Serviette darüber gelegt und einen Espresso bestellt haben.

Doch unangefochten ist Wintours Stellung nicht mehr. Als 2008 die Zahl der "Vogue"-Anzeigen wegen der Finanzkrise zurückging, sie aber keine Abstriche bei teuren Fotostrecken machen wollte, spekulierte die Branche über ihre Ablösung. Manche meinten schon, ihre Nachfolgerin zu kennen: Carine Roitfeld, Chefin der französischen "Vogue". Zugleich gewinnt das Internet an Einfluss, die Designer überlassen Modebloggerinnen bereits Stühle in der ersten Reihe, Chefredakteurinnen müssen weichen.

Anna Wintour bleibt die wandelnde Disziplin, zuckt dazu mit keiner Wimper. Sie lässt sich weiterhin täglich in die Redaktion in Manhattan chauffieren, um die größte Modezeitschrift der Welt zu leiten.