Die Strippenzieher: Besuch im Düsseldorfer Marionetten-Theater
Düsseldorfs Marionetten-Theater erweckt „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende zum Leben. Ein Werkstatt-Besuch.
Düsseldorf. Glücksdrache Fuchur döst vor klarer Sternenhimmel-Kulisse. Mit seinem weißen Pannesamt-Fell ist das Fantasiewesen aus Michael Endes Buch „Die unendliche Geschichte“ eine Schönheit. Fuchur ist mit fünf Kilo Gewicht ein schwerer Brocken für eine Marionette. Seinem Puppenspieler wird es viel Kraft abverlangen, wenn er, den Krieger Atréju auf dem Rücken, die Landesgrenzen abfliegt, um das Menschenkind zu finden, das Phantásien rettet: Bastian Balthasar Bux.
Wer die Tür zu den Werkstätten des Düsseldorfer Marionetten-Theaters im Palais Wittgenstein öffnet, betritt eine eigene kleine Welt. Hier erwecken seit einem Jahr Anton Bachleitner und sein fünfköpfiges Team „Die unendliche Geschichte“ zum Leben — Figur um Figur, Requisit um Requisit. Grundlage ist ein eigenes, werktreues Textbuch. Es ist die aufwendigste Produktion in der Geschichte des Theaters; ab 16. Oktober wird sie aufgeführt.
Von „Die Ballade von Norbert Nackendick“ (1982) bis „Jim Knopf und die Wilde 13“ (2009): Das Düsseldorfer Marionetten-Theater bringt seine sechste Produktion nach einem Buch von Michael Ende heraus. Bachleitner hatte ein persönliches Verhältnis zu dem beliebten Autor, der 1995 starb. Kein Zufall also, dass der Alte vom Wandernden Berg, der die Geschichte schreibt, während sie geschieht, die Gesichtszüge Endes trägt.
Nach den Entwürfen von Bachleitner entstehen Figuren, Kostüme, Kulissen. Köpfe, Hände und Füße schnitzt der Chef selbst aus Lindenholz. Alle Puppenspieler haben eine künstlerische oder handwerkliche Ausbildung.
Ioana Stoica hat als einzige das Puppenspiel studiert — in Bukarest. „Ich mache alle Werkstattarbeiten, die anfallen. Beispielsweise Frisieren, Kostüme nähen, Aufschnüren.“ Sie sitzt in der Schneiderei, eine Art Empore über dem Erdgeschoss, und macht Atréju eine Indianer-Frisur. Daneben liegt schon der grüne Körper des jungen Helden im Indianer-Kostüm.
Unten schraubt Markus Hilscher die Körper von den Zweisiedlern und dem Nachtalb zusammen, von der Hüfte bis zur Schulter. Hände und Füße kommen zuletzt, damit sich die Figuren leichter ankleiden lassen. In Becken und Ellenbogen setzt er Blei, um das Gewicht optimal zu verteilen. So kann der Puppenspieler die Bewegungsabläufe besser kontrollieren. Zwischen Schulter- und Bauchplatten klebt er Schaumstoff, damit die Puppen leichter werden. Die Köpfe sind hohl. Wo irgend möglich, wird an Gewicht gespart. Eine Marionette wiegt 1,5 bis 2,3 Kilo.
„Marionettenspiel ist Knochenarbeit“, sagt Anton Bachleitner. Gebeugt stehen die Spieler auf der beweglichen Führungsbrücke über der Bühne — die Decke über ihnen ist so niedrig, dass sie nicht gerade stehen können — und müssen stundenlang die Puppen führen. Da können zwei Kilo ganz schön schwer werden, geschweige denn fünf fliegende Kilo, erzählt Dramaturgin Sandra Zydek.
„Wir haben alle blaue Flecken, weil wir im Dunkeln schnell die Plätze wechseln müssen.“ Sie lacht. Wenn man alles gleichzeitig tun müsse ohne nachzudenken und ohne Pause (das Tonband läuft gnadenlos weiter), stehe man schon ein bisschen unter Stress.
Was macht einen guten Puppenspieler aus? Anton Bachleitner muss nicht lange überlegen: „Er zwingt der Marionette nicht seinen Willen auf, sondern achtet darauf, was sie selber kann. Macht man eine Drehbewegung zu schnell, dreht sie sich ein. Der Puppenspieler muss einfühlsam sein, um ein Maximum an Bewegung zu erreichen. Er kann mit ihr zu einer Einheit verschmelzen. Nur dann kann die Puppe ein Eigenleben führen, wahrhaftig sein und den Zuschauer überzeugen.“
Wie hält es Bachleitner mit Heinrich von Kleist? In dem Essay „Über das Marionetten-Theater“ stellt der Schriftsteller die These auf, die Marionette sei dem Menschen an Anmut und Grazie überlegen: durch eine „naturgemäßere Anordnung der Schwerpunkte“ und darin, dass eine Puppe ohne Bewusstsein „sich niemals ziere“. Außerdem wisse sie nichts „von der Trägheit der Materie, weil die Kraft, die sie in die Lüfte erhebt, größer ist als jene, die sie an der Erde fesselt“.
Bachleitner lächelt und relativiert Kleist: „Es gibt ja den Sprachgebrauch, dass man jemanden wie eine Marionette führt. Das stimmt aber nicht. In Wahrheit ist es ein Wechselspiel. Und dann hat jede Puppe ihre Grenzen. Sie kann nur, was sie von sich aus kann.“
Er muss es wissen, denn er hat zahllose Wesen konstruiert. Was die Theorie, also der Entwurf, wert ist, stellt sich immer erst am Ende beim Aufschnüren heraus. Der Marionetten-Meister: „Es ist ein beglückender Moment, wenn man eine Figur zum ersten Mal führt und spürt, dass alles aufgeht.“