Erwachsenwerden in Uniform Dokumentarfilm „Soldaten“: Regisseur beobachtet drei junge Männer bei ihrer Ausbildung
Köln · Für den Dokumentarfilm „Soldaten“ werden drei junge Männer während der Grundausbildung mit der Kamera begleitet. Dabei sind sensible Porträts entstanden.
Eine ernst zu nehmende Medienkritik lautet, Redaktionen würden sich vor allem mit Ihresgleichen beschäftigen, also mit Personen (und deren Interessen) aus dem eigenen Milieu, der akademisch geprägten Mittelschicht. Vielleicht ist das so, aber Gegenbeispiele lassen sich auch finden, zum Beispiel den Dokumentarfilm „Soldaten“ von Christian von Brockhausen und Willem Konrad. Die Autoren haben drei junge Männer während ihrer zweieinhalbjährigen Grundausbildung bei der Panzergrenadier-Kompanie in Hagenow, Mecklenburg-Vorpommern, mit der Kamera begleitet. Dank einer ausschließlich teilnehmenden, nicht kommentierenden Beobachtung sind sensible Porträts ohne bevormundende Bewertung entstanden.
Als die Bundeswehr vor zehn Jahren in eine Freiwilligen-Armee umgewandelt wurde, äußerten Kritikerinnen wie die Linken-Politikerin Christine Buchholz die Befürchtung: „Die Armen werden zu Kanonenfutter.“ Tatsächlich entstammen Jerell (21), Jeremy (22) und Alexis (26) keinen privilegierten Schichten. Zudem bringen sie einige persönliche und familiäre Probleme mit. Mit der Verpflichtung bei der Bundeswehr erhoffen sie sich auch, als Persönlichkeit zu wachsen.
Insbesondere Jeremy, ein schmaler, in sich gekehrter Typ ohne Selbstbewusstsein, gerät schnell an seine Grenzen. Der körperliche Drill ist für ihn Tortur, in der Gruppe ist er Außenseiter. Für den Schwimmtrainer ist Jeremys Angst „reine Kopfsache“. Bei der Truppen-Psychologin müssen die Rekruten zwar ihre persönlichen Ziele schriftlich formulieren, aber was geschieht eigentlich mit Jeremys aufschlussreichem Zettel? Kümmern sich Ausbilder überhaupt um Einzelne? Die Autoren nehmen sich Zeit für lange Einstellungen, zum Beispiel bei der Einkleidung der Rekruten. Dafür versanden manche Details auch.
Wie sich der einsame, vom frühen Tod der Mutter traumatisierte Jeremy durchkämpft, nötigt Respekt ab, auch weil er in den Einzelinterviews vor der Kamera bemerkenswert offen über seine Probleme redet. Die Armee, so hofft er, werde ihn selbstbewusster machen. Den jungen Mann mit dem Hauptschulabschluss treiben aber auch der familiäre Stress und die beengten Wohnverhältnisse in die Bundeswehr – und der Wunsch, „dass ich nicht in Hartz IV abrutsche wie mein Dad“.
Ganz andere Typen sind Jerell und Alexis, robuster, kommunikativer und mit Problemen anderer Art im Gepäck. Alexis, der im Alter von 13 Jahren aus Südamerika nach Deutschland kam und die Sprache „auf dem Bolzplatz“ lernte, hat „früher viel Scheiße gebaut“, wie er sagt. Die Bundeswehr soll dem einst erfolgreichen Boxer („60 Siege, zwei Niederlagen“) Halt und neue Perspektiven geben. Alexis möchte gerne zum Kommando Spezialkommando (KSK). Jedenfalls erklärt er das der jungen Frau, mit der er auf seiner Geburtstagsparty flirtet. Dass sie ihn als „einfachen Fußsoldaten“ bezeichnet, scheint er ihr nicht übel zu nehmen.
Wie das Einwandererkind Alexis („Ich möchte dem Land etwas zurückgeben“) treibt den Berliner Jerell ebenfalls der Wunsch an, Gutes zu tun. Der Sohn einer Deutschen und eines US-Soldaten, der sich für Jerell aus dem fernen Amerika nicht sonderlich interessierte, glaubt, er könne als einzelner Soldat etwas dazu beisteuern, dass das Leben in anderen Ländern besser wird. Im Ausland eingesetzt zu werden, nennt er von Anfang an als Ziel, zum Leidwesen seiner Mutter. Einmal geht es aber auch um Rassismus in Deutschland. Unverblümt fragt ein Kamerad den jungen Schwarzen, ob er sich „doll angegriffen fühlt“, wenn er mit dem N-Wort angesprochen werde. Jerell reagiert aufgeschlossen und freundlich.
Weil er in Berlin in ein kriminelles Umfeld geraten war, musste er in ein Heim in der Nähe von Kiel umziehen. Jerell nennt diese Entscheidung „das Beste, was mir je passiert ist“. Abseits von der Großstadt fand er Halt und neue Freunde, mit denen er im Film an einem See herumtollt, bis es dunkel wird. So ist „Soldaten“ nicht nur ein Dokumentarfilm über Ausbildung und Alltag in der neuen Freiwilligenarmee, sondern auch über das Erwachsenwerden.
Jerells Auslands-Einsatz im vergangenen Jahr ist leider nicht mehr Thema. Diese Frage bleibt offen: Wie verarbeitet ein junger Mann, der mit einer Mischung aus Neugier, Überzeugung, Furcht und vielleicht auch Abenteuerlust in die Transportmaschine gestiegen ist, die Erlebnisse als Soldat in Afghanistan? Mittlerweile ist die Mission am Hindukusch beendet. Aber 2500 Soldatinnen und Soldaten werden zurzeit noch im Ausland eingesetzt, mehr als 900 allein in Mali, wo vor zwei Wochen mehrere Soldaten bei einem Selbstmordanschlag verletzt wurden.
„Soldaten“, ARD, 7. Juli, 23.50 Uhr