Dramatisches Finale im TV-Jahr 2010

Berlin (dpa) - Samuel Kochs Unfall überschattet ein Fernsehjahr, das bis zu dem Zwischenfall von einem breiten Aufschwung profitierte. Die Werbeeinnahmen der Privatsender hatten nach den Rückschlägen der beiden Vorjahre wieder deutlich angezogen, die Einschaltquoten stimmten für die großen Sender.

Als der 23-jährige Wettkandidat am 4. Dezember in der ZDF-Show „Wetten, dass..?“ beim Versuch, mit Sprungfedern über ein entgegenkommendes Auto zu hechten, sich schwer verletzte, wurde eine Diskussion über die ethischen Grundlagen der Unterhaltungsbranche entfacht.

Das ZDF versprach eilig, künftig waghalsige Wetten einer schärferen Kontrolle zu unterziehen. Kritiker merkten an, dass der Quotenkampf, der längst den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ergriffen hat, die Risikobereitschaft der Kreativen in der TV-Branche verstärkt habe - ohne Rücksicht auf Werte und Sicherheit. Doch das Geschäft ist kurzlebig, die Debatte scheint jetzt wieder abzuflachen. Der Klassiker „Wetten, dass..?“ wird weiterleben, und die Konkurrenz wird das ZDF-Flaggschiff weiter attackieren, allen voran RTL mit seinen Erfolgsshows „Deutschland sucht den Superstar“ und „Das Supertalent“.

Bis zum Unfall am 4. Dezember stand vor allem der Privatsender Sat.1 mit seiner faustdicken Überraschung im Fokus: 9,75 Millionen Zuschauer hatten am 5. Oktober „Die Wanderhure“ gesehen, ein ganz gewöhnliches Mittelalter-Drama mit Alexandra Neldel in der Hauptrolle - Senderrekord für einen einzelnen Film. Kurz darauf traf es wieder Sat.1: Der erste Teil des opulenten Vierteilers „Die Säulen der Erde“ nach Ken Follett verbuchte 8,10 Millionen Zuschauer, die übrigen alle über sechs Millionen. Sat.1 wird zumindest die Fortsetzung der „Wanderhure“ fürs TV produzieren lassen und Folletts „Tore der Welt“.

Was also bleibt noch an Erkenntnissen aus dem TV-Jahr 2010 außer den Folgen rund um Samuel Kochs Unfall und dem thematisch weitgehend unbeackerten Feld Mittelalter? Sicher ist, dass sich auch 2011 die Menschen weiter in audiovisuelle Gauklerparaden flüchten werden. Bestes Beispiel ist das bestens konfektionierte RTL-Casting- Paradepferd „Das Supertalent“, ein Stück Voyeurismus oder auch ein bisschen Realitätsflucht. Für regelmäßig etwa acht Millionen Zuschauer heißt das: Den Alltag vergessen, Beine hochlegen, den Wahnwitz aus der Distanz betrachten. Das ist es.

Personelle Wechsel sorgten 2010 für Gesprächsstoff, der bis ins nächste Jahr anhalten wird. Vor allem die ARD-Ankündigung, Günther Jauch werde den Sonntags-Polittalk ab Herbst 2011 übernehmen, löste einen Wirbel in und außerhalb der Sendergemeinschaft aus. Anne Wills Talk muss verschoben werden, auch Frank Plasberg ist betroffen. Bei RTL muss ein Ersatz für Jauch her, der zwar nicht das Quiz „Wer wird Millionär?“, dafür aber „Stern TV“ aufgeben wird und Steffen Hallaschka überlässt.

Die ARD sah im Show- und Unterhaltungsbereich lange wie der Verlierer aus. Jörg Pilawas Abgang zum ZDF kostete der ARD fast einen Prozentpunkt Marktanteil, schätzen Experten. Auch Harald Schmidt wird den Sender verlassen und bei seinem alten Arbeitgeber, Sat.1, wieder eine Late-Night-Show bestreiten. Doch nun ist auch die ARD auf dem ständig offenen TV-Transfermarkt fündig geworden. Kai Pflaume wird künftig abendfüllende Shows im „Ersten“ moderieren und Pilawa vielleicht vergessen lassen.

Ob es der ARD durch diesen kleinen Coup gelingt, RTL die Marktführerschaft streitig zu machen? Schwer vorstellbar, denn trotz geballter Fußball-WM schaffte es die ARD schon 2010 nicht, Platz eins in der Senderliste zu erobern. Der Kölner Privatsender hat einfach einen Lauf. Das liegt nicht nur an Dieter Bohlens „Supertalent“, das es inzwischen sogar mit „Wetten, dass..?“ in direkter Konkurrenz aufnehmen kann, sondern auch an der sogenannten Scripted Reality, Dokusoaps nach Drehbuch, die im Tagesprogramm unschlagbar sind.

RTL kann sich dank höherer Einnahmen 2011 sogar wieder eine Dschungelshow leisten - ein gutes Zeichen. Auch die Sehdauer nimmt nicht ab, sondern überraschenderweise sogar immer weiter zu - trotz der Internetkonkurrenz. Wird sich daran etwas ändern? Kurz- und mittelfristig wohl kaum, denn die Ideen, die kreativen Schübe und die Finanzierung für den Film, die Show und die Dokumentation kommen immer noch von den Fernsehsendern.