„Ehrenmord“ auf Autobahnparkplatz: Libanesische Familie vor Gericht
Ein Kopfschuss setzte dem Leben einer 20-jährigen Libanesin ein Ende. Die Mutter und weitere Angehörige stehen jetzt vor Gericht. Sie sollen sich über den Lebensstil der jungen Frau empört haben.
Hagen (dpa). Wenige Meter entfernt rauschten die Autos auf der A45 nach Süden. Niemand bemerkte etwas davon, dass sich in der Nacht auf den 31. August 2008 auf dem Parkplatz „Sterbecker Siepen“ bei Lüdenscheid ein grausames Todesdrama ereignete. Mehrere Männer zerrten eine 20-jährige Libanesin aus einem Auto, warfen sie zu Boden und schossen ihr ins Gesicht.
Die Staatsanwaltschaft ist davon überzeugt, dass es sich bei der Bluttat um einen Mord im Namen der Ehre handelte. Der Familienrat habe den westlichen Lebenswandel der Frau nicht länger akzeptieren wollen. Vier Angehörige müssen sich vom kommenden Freitag an vor dem Hagener Landgericht verantworten.
Nachdem ein Cousin des Opfers bereits im Januar 2010 wegen Mordes zu 14 Jahren Haft verurteilt wurde, beginnt nun der Prozess gegen die Mutter, zwei Onkel und einen Bruder der Getöteten. Alle sollen entweder an der Planung oder sogar an der unmittelbaren Ausführung ihrer gnadenlosen Entscheidung beteiligt gewesen sein.
Die letzten Wochen im Leben der jungen Libanesin waren offenbar geprägt von großer Angst. Sie, die gerne schöne Kleider trug, Männerbekanntschaften nicht abgeneigt war und sogar in aller Öffentlichkeit Zigaretten rauchte, wusste genau, dass ihre Onkel und Brüder diesen Lebensstil verachteten. Die 20-Jährige flüchtete deshalb sogar in ein Frauenhaus. Doch nach langem Zureden ihrer Mutter kehrte sie am 30. August 2008 in die Familienwohnung in Schwerte zurück. Am Tag darauf war sie tot. Die Mutter hat ihr Kind nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft mit voller Absicht ins Verderben gelockt.
Laut Anklage wurde die junge Frau von einem Onkel, einem Bruder und dem bereits verurteilten Cousin verschleppt und auf den Autobahnparkplatz gefahren. Den Tatort soll der andere angeklagte Onkel zuvor ausgekundschaftet haben.
Der Cousin hatte in seinem Prozess Anfang 2010 zugegeben, die Libanesin an den Füßen festgehalten zu haben, während ihr Onkel den Kopfschuss abfeuerte. Seine Behauptung, das ältere Familienmitglied habe ihn zuvor selbst mit Waffengewalt zur Mithilfe gezwungen, nahmen ihm die Richter jedoch nicht ab.
Der Onkel soll sich noch in der Tatnacht ins Ausland abgesetzt haben. Festgenommen wurde der 51-Jährige am 19. September 2012 in Finnland. Kurz danach nahm jedoch plötzlich der Bruder der Getöteten alle Schuld auf sich und erzählte, er habe den tödlichen Schuss abgegeben. Auch er wurde danach festgenommen. Zum Zeitpunkt der Tat war er 16 Jahre alt.
Das Hagener Landgericht richtet sich schon jetzt auf einen langen und schwierigen Indizienprozess ein. Vorerst wurden 33 Verhandlungstage bis zum 27. Juni anberaumt. Die vier Angeklagten, die alle in Untersuchungshaft sitzen, werden von insgesamt acht Rechtsanwälten verteidigt.