Ein Schnaps gegen den Kumpel-Schmerz
In einem Festakt würdigt der Landtag die Verdienste des Steinkohlebergbaus. Und alle Redner feiern die Werte der Bergleute als beispielgebend.
Düsseldorf. Am Ende ist es ausgerechnet das Steigerlied, das die Pathoskonzentration im Plenarsaal des Düsseldorfer Landtags wieder etwas absenkt. Denn in der letzten der sieben Strophen schmettern der Ruhrkohle-Chor, der WDR-Kinderchor und der Opern-Kinderchor aus Dortmund noch ein paar deftige Zeilen ins Rund der stehenden Festakts-Gäste: „Wir Bergleute sein/kreuzbrave Leut’/denn wir tragen das Leder vor dem Arsch bei der Nacht/denn wir tragen das Leder vor dem Arsch bei der Nacht/und saufen Schnaps, und saufen Schnaps.“ Dann stoßen Musiker und Sänger mit Schnapsgläsern an — und die ersten der 120 Bergleute verschwinden von den Zuschauerrängen über die Treppe in Richtung Wandelhalle.
Verschwinden wird Ende des Jahres auch der Steinkohlebergbau aus der industriellen Gegenwart der Bundesrepublik. Doch er wird es nicht sang- und klanglos tun. Das ist das Land dem „Brennstoff für den Wiederaufbau und das Wirtschaftswunder“ schuldig, wie NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) die Bedeutung der Steinkohle beschreibt. Darum dieser Festakt im „Herzstück der Demokratie“, dem Parlament. Darum die Abschlussveranstaltung am 21. Dezember auf der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop, der letzten, auf der bis dahin noch Kohle gefördert wird.
Und dann gilt es noch die Werte des Berufsstandes zu beschwören, die schon gar nicht verschwinden sollen aus dem gesellschaftlichen Wertesystem, gerade jetzt nicht. Keiner der vier Redner verzichtet darauf, sie zu erwähnen. Die griffigste Formulierung findet Laschet: „Unter Tage hat keiner gefragt: Gehört der Islam zu Deutschland? Da zählte nur eins: Kann ich mich auf dich verlassen?“ Der Ministerpräsident dankt darum ausdrücklich auch den Gastarbeitern („Ein typisch deutsches Wort. Kein anderes Land der Welt würde seine Gäste arbeiten lassen“). Er will sich neben seinem Vater, der in Alsdorf einst Steiger war, bewusst auch durch zehn von ihnen begleiten lassen, wenn er am kommenden Montag ein letztes Mal im Bergwerk Prosper-Haniel einfährt.
Später tritt auch noch ein Ergebnis der Integrationsleistung des Bergbaus ans Rednerpult: Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie. Als „Ergebnis“ bezeichnet er sich selbst — der Vater griechischer Gastarbeiter, die Mutter Deutsche. Vassiliadis ist es auch, der die schon über 30 Jahre alte gewerkschaftliche Initiative „Mach meinen Kumpel nicht an!“ aus gegebenem Anlass wieder in Erinnerung ruft.
Das Gemeinsame, die Kooperation, das Füreinander-Einstehen, sie bekommen in diesen gut anderthalb Düsseldorfer Stunden nur hin und wieder ein paar Risse, die darauf hindeuten, dass hinter der breiten Verneigung vor der Leistung der Kumpel dann doch einige gewaltige politische Konflikte stehen. Alle Betonungen des Zusammenhalts über Religionen und Nationalitäten hinweg erhalten nur tröpfchenweise Zustimmung aus den Reihen der AfD. Und als Laschets Amtskollege aus dem Saarland, Tobias Hans (CDU), bekräftigt, dass die Kohleverstromung in Deutschland auch weiter eine wichtige Brückenfunktion übernehme, bleibt der Applaus der Grünen aus.
Nein, ökologische Überlegungen waren es nicht, die 2007 dazu führten, das „Gesetz zur Finanzierung der Beendigung des subventionierten Steinkohlebergbaus im Jahr 2018“ auf den Weg zu bringen. Es ging darum, eine bis heute dreistellige Milliardensumme an Subventionen nicht ins Unendliche anwachsen zu lassen. Klimaschutz spielte damals noch keine Rolle. Und der Gewerkschafter Vassiliadis kann es sich nicht verkneifen, auf eine Schattenseite des deutschen Ausstiegs aus der Förderung zu verweisen. Er hat die Bergwerke in Kolumbien und Südafrika mit eigenen Augen gesehen, woher die deutschen Steinkohlekraftwerke jetzt ihre Kohle beziehen. „Wir akzeptieren, dass die Kohle dort unter ökologischen und sozialen Aspekten gefördert wird, die in nichts dem gleicht, was wir jetzt schließen.“
„Kein Bergmann fällt ins Bergfreie“ — das war das Versprechen. Die meisten Kumpel wechseln nach dem Zechen-Aus in den Vorruhestand. Und die deutsche Zulieferindustrie für den Bergbau sucht ihr Heil im Export. Für die Zechen und alle, die von ihnen gelebt haben, bleibt das alte Zauberwort des Strukturwandels. Das restliche Silber und Gold, von dem das Steigerlied singt, wird unter Tage im Felsenstein ruhen — auch wenn Vassiliadis sicher ist: „Die Kumpel würden sofort wieder anheuern.“