Ende einer großen Rockband: R.E.M. lösen sich auf

Berlin/Los Angeles (dpa) - Ihr jüngstes Album „Collapse Into Now“ weckte Hoffnung, dass R.E.M. mit einem neuen Kreativitätsschub noch einmal die Kurve kriegen könnte.

Die teils in Berlin aufgenommene, Anfang des Jahres erschienene 15. Studioplatte war von erfrischender Spielfreude und melodischer Brillanz, so dass Millionen Fans wieder an eine Zukunft ihrer Lieblingsband glaubten. Doch die drei Musiker stellten sich längst die Sinnfrage „Was jetzt noch?“, gab Bassist Mike Mills am Mittwoch zu. Seit diesem Tag ist R.E.M. offiziell Rock- Geschichte. Die Verehrer trauern, die Pop-Kritik zieht den Hut.

Was bleibt, sind einige der wichtigsten und schönsten Rock-Alben der vergangenen 25 Jahre und mindestens zwei Handvoll Songs, die es mit den Großtaten der Beatles, Beach Boys oder Byrds aufnehmen können. Bis zuletzt war die Band aus Athens im US-Bundesstaat Georgia weltweit erfolgreich, mit Millionen-Verkäufen und Spitzenrängen - so sprang auch „Collapse Into Now“ im Frühjahr wieder von null auf eins der deutschen Charts.

Gleichzeitig war R.E.M. - Sänger/Texter Michael Stipe, Gitarrist Peter Buck, Bassist/Songschreiber Mills und bis 1997 Schlagzeuger Bill Berry - immer eine bodenständige US-Südstaaten-Band ohne Skandale, die ihre Wurzeln in der Punk- und Alternative-Szene nie verleugnete. Trotz seines Superstar-Status blieb vor allem Frontmann Stipe ein engagierter Linksliberaler, der sich etwa für den Tierschutz und die weltweiten Menschenrechte einsetzte.

Der Abschied von den Fans war denn auch bei allem branchenüblichen Pathos so stilvoll, wie man es von dieser höflichen, intelligenten Band erwarten konnte: „An jeden, der jemals von unserer Musik berührt wurde, unser tiefster Dank fürs Zuhören“, hieß es in einer Erklärung auf der R.E.M.-Webseite. „Es gibt hier keine Disharmonie, keinen Streit und keine gegeneinander antretenden Anwälte.“

Die Erfolgsgeschichte des 1980 unter dem Namen „Twisted Kites“ gegründeten Quartetts begann drei Jahre später, mitten in der Ära des kühlen, glamourösen Synthie-Pops, mit dem düsteren Debütalbum „Murmur“. Stipes kryptische Texte waren wegen seines raunenden Nuschelgesangs zwar kaum zu verstehen. Doch die Band vermittelte mit ihrer Orientierung am Gitarrenrock der 60er und am Punk der 70er Jahre eine Ernsthaftigkeit, die viele Musikfans damals in der Popmusik vermissten. Großartige Konzerte verstärkten den Eindruck, dass mit R.E.M. (Abkürzung für Rapid Eye Movement - die schnelle Augenbewegung im menschlichen Schlaf) eine neue Ära anbrechen könnte.

Es dauerte trotz hervorragender Platten wie „Lifes Rich Pageant“ (1986) oder „Green“ (1988) noch einige Jahre, ehe R.E.M. 1991 mit dem Single-Hit „Losing My Religion“ der große Durchbruch gelang. Mehrere Grammys waren der Lohn. Allein die Alben „Out Of Time“ und „Automatic For The People“ verkauften sich nach Schätzungen mehr als 20 Millionen Mal und katapultierten die Band in den Kreis der Megastars - zu U2, Prince, Madonna und Michael Jackson.

Mit der sperrigen Platte „Monster“ (1994) versuchten Stipe & Co. wenig später die Flucht aus dem neuen Rock-Mainstream zu ergreifen, doch es gelang ihnen nicht wirklich. Die Alben von R.E.M. waren nun bei allem Erfolg nur noch selten ein Ereignis. Kurz vor dem weitgehend missglückten „Up“ (1998) ging Schlagzeuger Berry von Bord, für viele Fans das Herz der Band.

Stipe, Buck und Mills machten als Trio mit wechselnden Tour- und Studiomusikern weiter, versuchten sich mal am Soft-Pop im Stil der Beach Boys, dann wieder an kurzen, rauen Gitarren-Songs. „Sie haben ganz nette Platten gemacht in den vergangenen zehn Jahren, aber es ist an mir völlig vorbeigerauscht“, sagte etwa der renommierte Rock-Kritiker Michael Fuchs-Gamböck (46) am Donnerstag im Interview der Nachrichtenagentur dpa. Hin und wieder war auch von Streitereien und Trennungsgerüchten zu hören.

Die letzten Songs seien „ein sauberer Schlussstrich unter 31 Jahre Zusammenarbeit“ gewesen, meint Bassist Mike Mills. R.E.M. hat es damit trotz manch mittelmäßiger Platte geschafft, nie peinlich zu werden wie so viele andere Rock-Veteranen. Auf mögliche Soloprojekte - vor allem des längst zum charismatischen Entertainer aufgestiegenen Sängers Stipe (51) - darf man gespannt sein. Alle drei Musiker sind in der US-Szene bestens vernetzt und hoch geachtet. Der Abschiedsschmerz der Fans könnte also schon bald gelindert werden, wenn aus der Asche von R.E.M. etwas Neues entsteht.