Erzbischof prangert Umgang der Behörden mit Flüchtlingen an
Woelki: Menschlich Notwendiges unterbleibt
Köln. Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki kritisiert den Umgang von Politik und Behörden mit Flüchtlingen. Das buchstabengetreue Einhalten von Gesetzen erscheine mitunter wichtiger als das Wohl der Menschen.
Vor einem Monat haben Sie im Domradio gesagt, es werde noch lange nicht genug für Flüchtlinge getan. Was meinen Sie damit?
Rainer Maria Woelki: Ich finde zum Beispiel, dass es uns gelingen muss, schnellere Asylverfahren politisch durchzusetzen. Vor einiger Zeit habe ich eine Roma-Frau getroffen, die schon seit ihrem siebten Lebensjahr hier lebt, aber noch immer staatenlos ist. Sie und ihre fünf Kinder sprechen akzentfrei Deutsch. Sie dürfen hier immer noch nicht arbeiten. Deshalb halte ich eine Gesetzesänderung für überfällig.
Sehen Sie auch Versäumnisse der Behörden?
Woelki: In den Behörden gibt es mit Sicherheit viele engagierte Mitarbeiter, das möchte ich ausdrücklich betonen, aber manches läuft in der Tat nicht gut. Wir hatten zum Beispiel nach einem Hilferuf aus der Politik ein ehemaliges Altenheim für die Aufnahme von Flüchtlingen zur Verfügung gestellt. Fünf, sechs Wochen erhielten wir keine Antwort. Dann habe ich es noch einmal in die Medien gebracht. Inzwischen haben wir vom Regierungspräsidium Köln eine lapidare Reaktion erhalten, eine E-Mail, bestehend aus drei Sätzen mit der Aussage: Das Haus sei zu klein. Das finde ich schon sehr befremdlich.
Ist das ein Einzelfall?
Woelki: Ähnlich verwunderlich ist der Fall des Klarissenklosters in Köln-Kalk. Dort sind wir vom Erzbistum bereit, zusätzlich elf Millionen Euro in die Hand zu nehmen, um ein integratives Wohnprojekt für 200 Mieter, davon 100 Flüchtlinge mit genehmigtem Asylantrag, zu verwirklichen. Der Denkmalschutz erlegt uns jedoch so viele Auflagen mit so hohen Kosten für die Umgestaltung auf, dass dies kaum zu verantworten wäre. Man hat doch den Eindruck, dass die Immobilie Vorrang vor dem Menschen erhält. Enge gesetzliche Vorgaben führen dazu, dass menschlich Notwendiges unterbleibt.
Das Gefühl der Dringlichkeit ist nicht da?
Woelki: Ich glaube schon, dass politisch der Druck groß ist, aber bei der Umsetzung fehlt es dann oft an Flexibilität. Erschreckend finde ich auch, dass in unserem Therapiezentrum für Folteropfer hier in Köln in jüngster Zeit öffentliche Mittel — Psychologenstellen — gestrichen worden sind. Man muss sich doch vor Augen führen: Zu uns kommen zurzeit Kinder, die mit eigenen Augen zusehen mussten, wie ihre Eltern im Mittelmeer über Bord geworfen wurden, weil sie nicht in der Lage waren, Schlepperbanden die nächste Rate zu bezahlen. Was gibt es Wichtigeres, als diesen Kindern zu helfen? Ich kann da wirklich nur an die öffentliche Hand appellieren, ihre Verantwortung wahrzunehmen. Die Kirche und die Wohlfahrtsverbände können nicht alles alleine leisten.
Muss man nicht aber auch realistisch bleiben und die Aufnahme irgendwo begrenzen? Sonst bricht die Unterstützung in der Bevölkerung weg, und davon profitieren dann rechtspopulistische Parteien.
Woelki: Diese Gefahr besteht in meinen Augen vor allem dort, wo Integration nicht gelingt, wo Flüchtlinge zum Beispiel in Ghettos untergebracht werden, wo ihnen das Recht auf Bildung und Arbeit verwehrt wird. Da schafft man sozialen Sprengstoff.