Forscher entdecken älteste Malerei Mitteleuropas

Tübingen (dpa) - Wenn Archäologe Nicholas Conard zu einer Ausgrabung auf die Schwäbische Alb fährt, muss anschließend fast immer die Geschichte der Menschen umgeschrieben werden.

Jedes Jahr findet sein Team etwas, das es eigentlich gar nicht geben dürfte. Vor drei Jahren war es eine 40 000 Jahre alte Frauen-Figur - dabei dachte die Wissenschaft, dass die Menschen das Schnitzen erst viel später gelernt haben. Kurz danach fand er eine 40 000 Jahre alte Flöte - dabei gab es damals eigentlich noch keine Musik.

Und jetzt hat er einen 15 000 Jahre alten bemalten Stein gefunden - obwohl die Malerei in Mitteleuropa nach der Vorstellung der meisten Experten damals eigentlich noch gar nicht erfunden war.

Diesmal sind es vier unscheinbare Steine aus der Höhle „Hohler Fels“ bei Schelklingen, mit denen der 50-jährige Archäologe unsere Vorfahren in ein neues Licht stellt. Nur ein paar Punkte sind zu sehen, und niemand weiß bislang, was sie bedeuten. Doch sie beweisen: Vor 15 000 Jahren hat in der kalten Eiszeit-Höhle ein Mensch aus Hämatit, Rötel und kalkhaltigem Wasser eine rot-braune Farbe hergestellt, um etwas zu malen.

Conard ist seinem Ruf als Anwalt der Eiszeitmenschen damit wieder einmal gerecht geworden. Er konnte beweisen, dass unsere Vorfahren gar nicht so primitiv waren, wie Wissenschaftler lange dachten. Für den Tübinger Professor ist der Fund aber noch aus einem ganz anderen Grund ein persönlicher Triumph: Als er vor zwei Jahren damit begann, im Sediment aus dem sogenannten Magdalénien vor rund 15 000 Jahren graben zu lassen, hatte manch einer mit dem Kopf geschüttelt. Noch nie gab es auf der Schwäbischen Alb aus dieser Epoche irgendwelche besonderen Entdeckungen.

Seine sensationellen Funde hatte Conard bis dahin alle in tieferen Schichten gemacht, die aus dem Aurignacien vor 30 000 bis 40 000 Jahren stammen. Dort lag die älteste Menschenfigur der Welt, die älteste Tierdarstellung der Welt, das älteste Musikinstrument der Welt. Conard wurde zu einem der berühmtesten Archäologen, schaffte es weltweit auf die Titelseiten der Zeitungen. Jedes Jahr grub er sich im „Hohlen Fels“ noch etwas tiefer in die Vergangenheit hinein und fand noch ältere Kunstwerke. Trotzdem stoppte er diese Arbeit und richtete sein Interesse stattdessen auf das vermeintlich langweilige Magdalénien-Sediment.

„Wir haben uns bei der Grabung in einem gewissen Niemandsland bewegt“, gibt Conard heute zu. „Da gibt es tausende und tausende und tausende Kalksteine. Aber man erwartet nicht, irgendetwas zu finden.“ Trotzdem hatte er immer das Gefühl, dass die scheinbar sinnlose Arbeit sich lohnen würde. Und dann hatte eine Studentin plötzlich diesen einen Stein in der Hand. Er sei genauso schmutzig gewesen wie alle anderen. Erst, als der Stein gewaschen war, wurde klar, dass eine Seite bemalt war. In ganz Mitteleuropa gibt es kein vergleichbares Fundstück.

Conard ist trotzdem bemüht, die Euphorie zu bremsen. Auf die Frage, ob er denn wohl in der nächsten Grabungssaison wieder ähnlich Spektakuläres findet wird, gibt er seit Jahren immer dieselbe Antwort: Darüber mache er sich gar keine Gedanken. „Die Realität hat zuletzt ohnehin alles übertroffen.“ Eigentlich sei ja nicht mit großen Sensationen zu rechnen, schließlich gehe die Grabung im vermeintlich langweiligen Magdalénien weiter. Aber dann muss Conard doch schmunzeln. „Im Hohlen Fels ist es aber eigentlich auch egal, in welcher Schicht wir graben. Am Ende kommt immer etwas Sensationelles heraus.“