Attacke am Frankfurter Hauptbahnhof „Warum?“ Gleis sieben, 24 Stunden später
Frankfurt/Main · Am Frankfurter Hauptbahnhof ringen Passanten um Fassung. Helfer sammeln ihre Kräfte. Fahrgäste sind wachsamer als sonst. Der Tod des kleinen Jungen, der am Montag vor einen einfahrenden Zug gestoßen wurde, lässt auch am Tag darauf niemanden kalt.
Am Eingang zum Bahnsteig stehen Grablichter, liegen Blumen und Kuscheltiere. Ein Teddybär hält einen handgeschriebenen Zettel mit der Frage des Tages: „Warum?“ Warum musste der kleine Junge am Montag sterben? Wie konnte es passieren, dass der Achtjährige vor den einfahrenden Zug gestoßen wurde? Was ging in dem Täter vor? Antworten hat am Dienstag am Frankfurter Hauptbahnhof niemand.
Man hat den Eindruck, es ist stiller an diesem Dienstagmorgen. Leerer ist es nicht. Die Massen schieben sich an den Gleisen entlang und laufen kreuz und quer durch die Halle. Am vollsten ist es am Eingang zum Gleis sieben, wo viele Kamerateams Stellung bezogen haben. Weiter hinten, in abgelegenen Abschnitt E, wo sich das Drama am Montag zutrug, sind am Dienstag keine Blumen oder Kerzen zu sehen. Nur zwei pinkfarbene Striche an der Bahnsteigkante markieren die Stelle, an der der Achtjährige starb.
Direkt an der Markierung sitzt ein Geschäftsmann aus dem Odenwald. Er fährt regelmäßig ab Gleis sieben, von Frankfurt nach München und steigt immer in Abschnitte E zu. „Mein Termin gestern wurde verschoben, sonst hätte ich gestern hier gestanden.“ Heute reist er mit einem mulmigen Gefühl, das sich aber in eine längere Entwicklung einfügt. „Das Gebot der Zeit lautet: vorsichtig sein.“ Als Vielreisender sei er wachsam bei herrenlosen Koffern oder verdächtig aussehenden Menschen. Ab jetzt will er nicht mehr direkt an der Bahnsteigkante laufen, vor allem nicht mit seinen Kindern.
Drei Mitarbeiter der Hilfsorganisation ASB legen gemeinsam eine Blume ab. Marlon war gestern im Einsatz, er betreute Augenzeugen des schrecklichen Vorfalls. Sie zu trösten sei schwierig gewesen, sagt der junge Mann. „Wir sind für solche Fälle geschult, aber wenn es dann passiert...“. Solche Szenen erwarte man in einem Actionfilm, aber nicht in der Realität. Am Tag danach fühlt er sich „unwirklich“. Sein Kollege Christoph atmet tief durch und will heute „Profi sein“.
Eine Mutter mit einem kleinen Jungen an der Hand huscht vorbei. Schnell legt sie eine Blume an die Gedenkstätte, der Sohn ist etwa in dem Alter des gestorbenen Jungen. Ihre Augen sind rot, sie zieht den Kopf ein und rennt fast in Panik davon.
Auch ein schick gekleideter junger Mann mit Pilotenbrille legt eine Blume nieder. Man dürfe eine solche Tat nicht akzeptieren und zum Alltag übergehen, sagt er. Als er sich abwendet setzt er noch einen Satz hinterher: „Ich hoffe, dass Angela Merkel bald im Gefängnis ist.“ Das dürfte auf die Herkunft des mutmaßlichen Täters zielen, der aus Eritrea stammt. Rechte Kreise bringen den Fall in Verbindung mit der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung.
Andere warnen am Tag danach genau davor. Der Passagier in Abschnitt E fragt sich wie alle anderen am Gleis sieben, was in dem Täter vorgegangen sein könnte. Seine Herkunft tue nichts zur Sache, sagt der Geschäftsmann. Sie mache die Tat weder schlimmer noch besser und helfe auch nicht, sie zu verstehen. „Man muss vorsichtig sein und hoffen, dass man nicht zur falschen Zeit am falschen Ort ist.“