Wendepunkt Französischer Wachkoma-Patient Lambert soll doch am Leben bleiben
Reims · Und plötzlich wendete sich das Blatt: Zunächst sah es so aus, als ob Wachkoma-Patient Vincent Lambert bald sterben würde - dann entschied ein Gericht anders. Frankreich diskutiert kontrovers über den Fall.
Der Streit um die Frage nach Leben oder Tod im Fall des Wachkoma-Patienten Vincent Lambert geht überraschend weiter und spaltet Frankreich. Nachdem ein französisches Gericht am Montagabend die Wiederaufnahme der lebenserhaltenden Maßnahmen angeordnet hatte, trafen die Eltern am Dienstagmorgen im Universitätsklinikum von Reims ein. Nach Angaben des Anwalts der Familie wurde die Versorgung von Lambert wieder aufgenommen. Über den Fall wird in ganz Frankreich gestritten. Der Präsident des Nationalen Ethikrats rief zur Ruhe auf.
Das Gericht hatte am späten Montagabend angeordnet, dass die Ernährung und Flüssigkeitszufuhr von Lambert vorerst aufrecht erhalten werden müsse. Erst am Morgen war die Behandlung von Frankreichs bekanntestem Wachkoma-Patienten nach einem jahrelangen Rechtsstreit gestoppt worden. Er hätte dann nur noch wenige Tage zu leben gehabt. Die Eltern des 42-Jährigen wollten den Tod ihres Sohnes mit aller Macht verhindern und gingen gegen die Entscheidung vor.
Lambert war vor rund zehn Jahren bei einem Verkehrsunfall verunglückt und hatte sich schwer am Kopf verletzt.
Die Familie hatte sich in Frankreich durch sämtliche Instanzen geklagt, um den Tod ihres Sohnes zu verhindern. Sie scheiterten dort immer wieder und auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der erst am Montagnachmittag einen erneuten Antrag der Eltern zurückwies. Das Gericht hatte festgestellt, dass keine neuen Beweise vorgelegt wurden.
Die französische Justiz folgte nun der Aufforderung des UN-Ausschusses zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen, an den sich die Eltern gewandt hatten. Dieser hatte zuvor darum gebeten, dass die Behandlung solange fortgesetzt werden solle, bis der Ausschuss sich ein ganzes Bild von der Lage gemacht habe. Frankreich hatte daraufhin betont, rechtlich nicht an die Forderungen des Ausschusses gebunden zu sein. Die Anwälte von Lamberts Eltern argumentierten, dass Frankreich gegen internationales Recht verstoße, wenn die Entscheidung des Gremiums nicht abgewartet werde.
Die Familie des früheren Krankenpflegers ist zutiefst zerstritten. Seine Eltern und seine Geschwister sind gegen die Einstellung der Pflege, Lamberts Ehefrau will ihn dagegen „in Würde gehen lassen“. Ihr Mann habe sich nie gewünscht, dass sein Leben künstlich verlängert werde, sagte sie vor einigen Jahren. Eine Patientenverfügung von Lambert gibt es allerdings nicht.
Der tragische Fall hat nicht nur die Familie Lamberts auseinandergerissen, sondern spaltet auch das Land. Die Eltern von Lambert werden von zahlreichen Vertretern der katholischen Kirche unterstützt. Am Montagabend protestierten in Paris Menschen gegen den Behandlungsstopp. Auch zahlreiche Politiker meldeten sich zu Wort. Präsident Emmanuel Macron hatte zuvor betont, sich nicht in die Entscheidung einmischen zu wollen und auf das Urteil der Ärzte zu vertrauen.
Der Präsident des Nationalen Ethikrates rief am Dienstag dazu auf, die neue gerichtliche Frist nun zu nutzen, um ein wenig Ruhe in die aufgeheizte Debatte zu bringen. Das Thema sei komplex, weil es die Menschen berühre, sagte Jean-François Delfraissy dem Sender France Inter. Die Entscheidung des Gerichts bewertete er nicht.
Ein Neffe Lamberts auf Seiten der Ehefrau sprach mit Blick auf die neuerliche Anordnung von „purem Sadismus“, wie die französische Nachrichtenagentur AFP berichtete.
In Deutschland und Frankreich ist die aktive Sterbehilfe, also einem Menschen ein tödlich wirkendes Mittel zu verabreichen, verboten. Passive Sterbehilfe durch das Abschalten von Apparaten und indirekte Sterbehilfe, bei der starke Medikamente Schmerzen lindern und als Nebenwirkung das Sterben beschleunigen, sind zulässig.