Jahrelanger Rechtsstreit Gericht ordnet Wiederaufnahme lebenserhaltender Maßnahmen für Koma-Patient Lambert an
Lille. · Die Behandlung von Frankreichs bekanntestem Wachkoma-Patienten wird gestoppt. Seine katholischen Eltern sind empört. Am Montagabend dann gibt es eine erneute Gerichtsentscheidung.
Nach einem jahrelangen erbitterten Rechtsstreit soll der französische Koma-Patient Vincent Lambert sterben. Die Ärzte der Uniklinik in Reims im Osten des Landes beendeten am Montag die lebenserhaltenden Maßnahmen für den 42-Jährigen, der seit einem Motorradunfall vor gut zehn Jahren in einer Art Wachkoma liegt. Dies geschah gegen den erbitterten Widerstand der Eltern, die für das Leben ihres Sohnes durch alle Instanzen gegangen waren. Wie es schien, erfolglos.
Doch am späten Abend ordnet ein Gericht in Paris die Wiederaufnahme der lebenserhaltenden Maßnahmen an. Das Pariser Berufungsgericht wies die Behörden an, "alle Maßnahmen" zu ergreifen, um Lambert am Leben zu halten. In ihrer Entscheidung, die der Nachrichtenagentur AFP vorlag, verwies das Gericht auf entsprechende Forderungen des UN-Ausschusses zum Schutz der Rechte von Menschen.
Ein Gericht hatte in dem jahrelangen Rechtsstreit bereits zwei Mal gegen die Eltern entschieden - zuletzt Ende April. Zuvor hatte auch der Pariser Staatsrat als oberstes Verwaltungsgericht im Sinne der Ärzte geurteilt.
Per Mail über Entscheidung informiert
Die 73-Jährige und ihr 90-jähriger Mann Pierre legten noch am Montag erneut Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ein. Das Gericht wies diese bereits nach wenigen Stunden ab mit der Begründung, es gebe keine "neuen Elemente" in dem Fall.
„Das ist eine Schande, ein absoluter Skandal“, sagte der Anwalt der Eltern, Jean Paillot. Lamberts Mutter und sein Vater hätten sich noch nicht einmal mit einem Kuss von ihrem Sohn verabschieden können. Der Chef der Palliativmedizin in Reims, Vincent Sanchez, informierte die Familie demnach per Mail über das Ende der künstlichen Ernährung.
Als „Monster“ und „Nazis“ bezeichnete die Mutter Viviane Lambert die Mediziner. Sie rang vor der Klinik mit den Tränen. Die 73-Jährige und ihr 90-jähriger Mann Pierre legten unter anderem eine Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ein. Das Tribunal des Europarats hatte in dem seit mehr als sechs Jahren andauernden Rechtsstreit allerdings bereits zwei Mal gegen die Eltern entschieden – zuletzt Ende April.
Künstliche Ernährung am Montag eingestellt
Vincent Lambert ist seit seinem Unfall 2008 querschnittsgelähmt und kann nicht mehr sprechen. Da er laut einem Gutachten nicht mehr bei Bewusstsein ist und sich sein Zustand nicht verbessern dürfte, stellten die Ärzte die künstliche Ernährung über Schläuche am Montag ein. Nach Angaben von Medizinern wäre er in einigen Tagen gestorben. Durch den Gerichtsentscheid am späten Montagabend wurde dies nun vorerst gestoppt. Die Behandlung wurde wieder aufgenommen.
Die Ärzte berufen sich auf ein französisches Gesetz von 2016, nach dem die medizinische Behandlung beendet werden kann, wenn sie „unnütz und unverhältnismäßig erscheint oder nur dazu dient, das Leben künstlich zu erhalten“.
Der Fall spaltet die Familie: Auch Vincent Lamberts Frau Rachel und fünf seiner Brüder und Schwestern befürworten das Ende der lebenserhaltenden Maßnahmen. Sie berufen sich darauf, dass er sich stets gegen eine künstliche Verlängerung seines Lebens ausgesprochen habe.
Die Eltern des früheren Krankenpflegers sind überzeugte Katholiken und hatten am Wochenende noch einmal alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das Leben ihres Sohnes zu retten. In einem offenen Brief baten sie Präsident Emmanuel Macron um Unterstützung. Der Präsident wies den Hilferuf am Montag ab. Es stehe ihm nicht zu, die Entscheidung der Ärzte aufzuheben, erklärte er auf Facebook: „Sie steht im Einklang mit unseren Gesetzen.“
Der Fall Vincent Lambert spaltet auch das politische Frankreich: Die konservative Partei Die Republikaner und die Rechtspopulisten übten scharfe Kritik an der Entscheidung der Ärzte. Der Papst forderte am Montag, das „Leben, die Gabe Gottes, vom Anfang bis zum natürlichen Ende“ zu bewahren. Er schrieb auf Twitter, ohne den Fall Lambert direkt zu erwähnen: „Geben wir der Wegwerfkultur keinen Raum.“ Er bete für Menschen, die mit schweren Gebrechen leben.